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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1987/0026
Robert Kretzschmar

Grundlage der Friedenswahrung wollte man sowohl die leibeigene als auch die übrige
Bevölkerung an Bestimmungen binden, deren Beachtung der Schaffung eines einheitlichen
Untertanenverbandes zweckdienlich sein mußte. Zusätzlich zu diesen Hauptzielen regelte
man - quasi en passant - einzelne alltägliche Mißstände und erließ (dies offenbar ohne
größeres Engagement) sittenpolizeiliche Verordnungen, die dem Zeitgeist entsprachen und bei
der Publikation einer »Landesordnung« nicht unberücksichtigt bleiben konnten108.

Gesetzgebung also nur im Interesse der Territorialherrschaft? Beschränkte sich die in der
Vorrede erwähnte Beteiligung der Gemeindegerichte auf eine - möglicherweise sogar als
selbstverständlich vorausgesetzte - Billigung einer herrschaftlichen Gesetzesvorlage?

Diese Sicht wäre einseitig. Denn ohne Zweifel mußte auch der Friedberg-Scheerer
Bevölkerung und besonders den Bauern an friedlichen Zuständen in der Grafschaft und an
Rechtssicherheit als Voraussetzung ungestörten Wirtschaftens gelegen sein. Im vorgeschriebenen
Schlichtungsverfahren des Friedbietens war den Untertanen zudem eine sehr aktive Rolle
bei der Friedenswahrung reserviert109, die bei tätlichem Widerstand des Delinquenten sogar
die Anwendung von Gewalt erlaubte110. Der lokale Ammann, dem in den fraglichen Bestimmungen
herausgehobene Kompetenzen zugeordnet sind, stammte mutmaßlich in der Regel
aus der bäuerlichen Oberschicht seines Amtsortes und fungierte im lokalen Gericht als
Vorsitzender Stabhalter111. Das von den Waldburg dekretierte System des Friedbietens, so
eingebunden es auch in die Verwaltungsstrukturen der Grafschaft war und so sehr es die
Selbsthilfe ausschloß, überließ, einmal so gesehen, die Sicherung des Friedens in weitem Maße
der Dorfbevölkerung und den aus ihren Reihen ernannten Amtsträgern selbst. Auch in dieser
Hinsicht entsprachen die fraglichen Artikel durchaus der Interessenlage der Untertanen.

Letzteres gilt auch für andere Statuten, etwa jene die das Eigentum an Boden und Vieh
unter Schutz stellen und für denkbare Eingriffe Strafen vorsehen; Strafandrohungen für
Ubergriffe in nachbarschaftlichen Besitz kamen in erster Linie der bäuerlichen Bevölkerung
zugute. Auch die gesinderechtlichen Regelungen dürften weniger der Herrschaft Vorteile
gebracht haben als den beteiligten Parteien vor Ort, für die Rechtssicherheit geschaffen wurde.
Feuerpolizeiliche Bestimmungen schützten mittelbar vor der Gefährdung durch Dritte; das
detailliert beschriebene Pfändungsverfahren war Voraussetzung zur Verfolgung berechtigter
Ansprüche in rechtlichen Bahnen. Und auch die wenigen Bestimmungen zur Gemeindeversammlung
können auf dem Lande nur begrüßt worden sein.

Die These, daß zahlreiche Statuten ganz im Interesse der Untertanen lagen, hat folglich
ebenso ihre Berechtigung wie die Vermutung, daß manche Bestimmung gar erst auf Initiative
der beteiligten Gemeindegerichte Eingang in das Gesetzeswerk fand. Die Annahme des
letzteren würde auch helfen - wir deuteten dies bereits an -, die wenig durchgliederte Struktur
des Gesetzestextes, der im zweiten Teil den Charakter einer groben Kompilation aufweist, zu
erklären. Man hatte Vorschläge gesammelt.

Freilich: Überhaupt nicht im Interesse der Untertanen lagen die einschlägigen Bestimmungen
zur Leibeigenschaft. Zumindest in ihnen ist das herrschaftliche Wollen, ist die territorialpolitische
Funktion des Gesetzeswerks uneingeschränkt greifbar.

108 Mit dem Verbot des Zutrinkens wurde eine Auftragsgesetzgebung des Reiches erledigt; der Lindauer
Reichsabschied von 1497 hatte ein entsprechendes Verbot von den Reichsständen verlangt; vgl. Lieberich
(wie Anm. 102) S.352.

109 Blickte, Politische Funktion des Bauern (wie Anm. 49) S.210 hat beobachtet, daß das Friedbieten
vor allem für Herrschaftsbereiche fixiert wurde, »die angesichts ihrer Kleinräumigkeit und ihrer geringen
wirtschaftlichen Ressourcen kaum Verwaltungs- und Polizeiapparate ausbilden konnten«. Die Grafschaft
Friedberg-Scheer wäre in seiner Belegreihe solcher oberschwäbischer Kleinterritorien zu ergänzen. Die
Verpflichtung der Untertanen zum Schlichten bei Konflikten ersetzte auch hier bis zu einem gewissen
Maß die Notwendigkeit der Präsenz spezieller Polizeiorgane neben dem Ammann.

110 Vgl. oben S. 17.

111 Kretzschmar, Vom Obervogt (wie Anm. 1) S.200.

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