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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1987/0064
Andreas Zekorn

den hohen Bücher- und Zeitschriftenpreisen entstand oftmals eine Diskrepanz zwischen den
finanziellen Möglichkeiten eines Großteils des Publikums und seinen Bedürfnissen. Da es
noch keine öffentlichen Bibliotheken im heutigen Sinne gab, bildeten sich allmählich Lesegesellschaften
heraus, die durch gemeinsamen Lektürekauf das Lesen für den Einzelnen verbilligten
. Zunächst waren dies reine »Umlaufgesellschaften«, d.h. Zeitungen, Zeitschriften und
Bücher zirkulierten unter den Mitgliedern in bestimmter Reihenfolge42.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich daraus allmählich die Organisationsform
des Lesekabinetts. Die neuen Gesellschaften besaßen ein Lesezimmer, wo die gemeinsam
angeschaffte Lektüre eingesehen werden konnte. Hinzu kam, daß dieser Ort auch Gelegenheit
zur Diskussion bot43. Die Lesegesellschaften wollten im Sinne des aufklärerischen Bildungsideals
wirken, nützliche Kenntnisse aus der Wissenschaft popularisieren, um sie auf das
praktische Leben anzuwenden44. So bildeten die Lesegesellschaften eine private QuasiÖffentlichkeit
. In einem unpolitischen Raum konnten Privatpersonen diskutieren und
dadurch, zusammen mit der Zeitungslektüre, ein politisches Bewußtsein entwickeln. Auf diese
Art wirkten die Gesellschaften ohne direkte Absicht politisch und in den staatlichen Bereich
hinein, ohne sich im Gegensatz zum Staat zu verstehen45.

Die Schicht, die die Vereinsbildung in Gang brachte, war - wie oben gesagt - das neue
Bürgertum. Die Voraussetzungen zum Beitritt in die Lesegesellschaften waren Bildung und
Leistung, nicht Geburt und Stand; d.h., daß die Lesegesellschaften keine rein bürgerlichen
Vereine waren, sondern daß sich auch der Adel in den überständischen Vereinen mit den
Bürgerlichen treffen konnte46. Gleichermaßen konnten sich ständisch getrennte Gruppen aus
verschiedenen Berufen treffen und sich zu einem neuen Bürgertum konstituieren. So boten die
Vereine einerseits die Möglichkeit der Emanzipation vom Adel und zum Streben nach
Gleichberechtigung mit diesem und andererseits die Möglichkeit zur ständeübergreifenden
Konstituierung eines neuen Bürgertums.

Allerdings wurden statt der ständischen Grenzen nun Besitz- und Bildungsgrenzen
eingeführt, die die neue bürgerliche Schicht nach unten abgrenzte. Besitz und Bildung
trennten Groß- und Bildungsbürger von den Kleinbürgern. Es entstanden Klassen statt
Stände. Diese Trennung führte dazu, daß sich jeweils schichtenspezifische Vereine herausbildeten
und das Vereinswesen, ursprünglich eine Schöpfung der Bürgerlichen, immer weitere
Schichten erfaßte. Diese Entwicklung läßt sich schon bei den frühen Lesegesellschaften
erkennen, und diese einfache Organisationsform ergriff schon frühzeitig mittelbürgerliche, ja
selbst ländliche Bevölkerungsschichten47. Doch fanden eine zunehmende Demokratisierung
und ein »Absinken« in niederere Schichten erst im 19. Jahrhundert statt48.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert wandelte sich die Struktur des
Vereinswesens insgesamt, wobei sich auch die Lesegesellschaften diesem Wandel anpaßten.
Ein Entwicklungsstrang führte hin zur geselligen-unpolitischen Form des »Clubs«. Die
Lektüre spielte zwar nach wie vor eine Rolle, doch nahm die gesellige Unterhaltung - dazu
zählten unter anderem neben dem Gespräch auch das Spiel und die Veranstaltung von Bällen -
einen immer breiteren Raum ein. Im Gegensatz dazu stand in den frühen Lesegesellschaften
das Interesse an der Lektüre und zunehmend auch die Diskussion im Vordergrund49.

in der Neuzeit. Das statistische Ausmaß und die soziokulturelle Bedeutung der Lektüre. In: Archiv für
Geschichte des Buchwesens, Bd. X (1970), Sp. 945-1002, Sp.958f.

42 Prüsener, Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung (wie Anm. 41) S. 72.

43 Prüsener, Lesegesellschaften (wie Anm. 1) Sp. 390 ff.

44 Nipperdey (wie Anm. 13) S. 178.

45 Vgl. hierzu: ebd., S. 195f.

46 Vgl. auch im folgenden: ebd., S. 183ff., und Dann, Einleitung (wie Anm.2) S.23f.

47 Dann, Einleitung (wie Anm. 2) S. 18.

48 Nipperdey (wie Anm. 13) S. 187f.

49 Prüsener, Lesegesellschaften (wie Anm. 1) Sp. 508 f.

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