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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1987/0117
Die Museumsgesellschaft und der Bürgerverein in Sigmaringen

Literatur entspricht genau dem Zweck des Vereins, das Wissen durch Ideentausch und Lektüre
zu erweitern und Künste, Gewerbe, Kultur und Ökonomie zu befördern4*7.

Neben der mehr fachspezifischen Literatur bestand der größte Teil der Bibliothek aus
»Schöner Literatur« (81 %!), die fast nach einer Art bürgerlichen Lektürekanons zusammengestellt
zu sein scheint: angefangen bei »den« Klassikern Goethe, Schiller und Shakespeare bis
hin zu viel gelesenen Autoren des 19. Jahrhunderts wie Charles Dickens, E. L.Bulwer, Scott,
Gustav Freytag (»Soll und Haben«), Carl Gutzkow, F. W. Hackländer, Karl May, um nur
einige hervorstechende Namen zu nennen438. Ebenso beinhalteten die Bände aus Bachem's
»Novellensammlung« (29 Bände) und Spindlers »Belletristischem Ausland« (116 Bände!) ein
fertiggestelltes Lektüreangebot, das eine eigene Auswahl überflüssig machte. Denn gerade mit
dem Anwachsen der Bücherproduktion verschärfte sich das Dilemma für den Leser zwischen
der allgemein als lesenswert erachteten Lektüre und dem Fassungsvermögen des einzelnen
Lesers439. Deshalb wurden ein Literaturkanon und Bestenlisten ausgearbeitet, um dem Leser
durch die Auswahl Hilfestellung zu geben, dem herkömmlichen Bildungsideal wenigstens
noch einigermaßen Genüge zu tun. Eine solche Hilfestellung boten Lektüresammlungen, wie
die von Bachem und Spindler. Insgesamt findet sich in der belletristischen Abteilung der
Bibiothek neben durchaus anspruchsvollen Werken hauptsächlich anspruchslosere (Roman-)
Literatur zur Unterhaltung440.

Auf politischem Gebiet kann allgemein eine Anteilnahme an politischen Vorgängen, vor
allem in Hohenzollern, verzeichnet werden. Die Zeit, aus der die meisten »Hohenzolleriana«
wie Gesetzessammlungen, die Verfassungsurkunde, Protokolle aus der Ständeversammlung
und später aus den Kammern usw. datieren, also aus den 30er bis 50er Jahren des ^.Jahrhunderts
, deutet darauf hin, daß sich die Vereinsmitglieder hauptsächlich in der Anfangszeit des
Vereins mit (lokal)politischen Themen beschäftigten. Dies verweist erneut auf die bewußtseinsbildende
und politisierende Funktion des Vereins. Dagegen scheint gegen Ende des
Jahrhunderts das politische Interesse abzuflauen. Die Zeitschriften besitzen einen apolitischen
Charakter, und nur die bis 1907 angeschafften historisch-politischen Bücher verraten noch ein
bestimmtes Interesse, das eine allgemein deutsch-nationale Richtung andeutet441.

Schließlich ist auch eine christlich-katholische Tendenz im Verein zu bemerken, mit einer
katholischen Zeitschrift und mehreren Büchern religiösen Inhalts442. Dies korrespondiert
wiederum mit der vorwiegend katholischen Bevölkerung Sigmaringens.

Abschließend sei noch kurz auf einige für das 19. Jahrhundert allgemeintypische Tendenzen
hingewiesen, die sich an den Lektürebeständen des Bürgervereins bemerkbar machen. Die
im Bürgerverein vorhandene Literatur entspricht den sich im Laufe des 19. Jahrhunderts
langsam herausbildenden Strukturen von literarischer Massenkultur und literarischem Massenpublikum
ebenso wie den Publikumsbedürfnissen nach Unterhaltung und Entspannung443.
Ein Ausdruck dieser Kultur ist in besonderem Maße die Familienzeitschrift mit hoher Auflage
und weiter Verbreitung und der Roman, der immer differenzierter und spezialisierter »auf

437 Statuten, Bürgerverein, 1836, §1.

438 Vgl. zu den einzelnen Autoren z.B.: Horst Rüdiger/Erwin Koppen (Hrsg.), Kleines literarisches
Lexikon Bd. 1, Bern/München 1969.

439 Vgl. dazu auch im folgenden: Engelsing, Lesergeschichte (wie Anm. 41) Sp. 992ff.

440 Dieser Trend zeigt sich schon bei den frühen Lesegesellschaften, bei denen die Romane mehr
anspruchsloserer Natur waren. Doch insgesamt nahm die Bildungslektüre einen größeren Raum ein als die
Belletristik. Vgl. dazu: Prüsener, Lesegesellschaften im Zeitalter der Aufklärung (wie Anm. 41) S. 81 f.

441 Vgl. oben S. 114, Neuanschaffungen von historisch-politischen Büchern in der Bibliothek 1907.

442 Als Beispiel seien folgende Bücher aus dem Bibliothekskatalog von 1898 genannt: D. L. Lang,
Hausbuch für christliche Unterhaltung (Nr. 513-523), T. M. Herz, Die Religion Jesu Christi in Betrachtungen
(unter Rubrik VI).

443 Vgl. dazu auch im folgenden: Wolfgang R. Langenbucher, Das Publikum im literarischen Leben
des 19.Jahrhunderts. In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 65 (1968), S. 1857-1866, hier:
S. 1860 ff.

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