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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1987/0253
Skelettreste aus der Michaelskapelle zu Gammertingen

Zähne auf. Fünfzehnmal konnte Zahnverlust zu Lebzeiten ausgemacht werden. Neben
Ursachen wie Parodontose kann dies ebenfalls auf Karies zurückgeführt werden. Knochenresorptionen
sind im Oberkiefer des Mannes 346 zu erkennen. Diese entstanden durch eitrige
Abszesse, Knochenzysten oder Wurzelgranulome, auf jeden Fall aber waren kariöse Zähne die
Ursache. Parodontose kommt bei allen vier auswertbaren Gebissen vor. Bei den Schädeln 298,
346 und 356 besteht ein ursächlicher Zusammenhang mit Zahnstein; zweifellos eine Folge
mangelnder Mundhygiene. Trotzdem können die Zähne im wesentlichen als gut erhalten
angesprochen werden, besonders hinsichtlich des Alters der Bestatteten. Bei vor- und frühgeschichtlichen
Populationen waren die Zähne häufig stark abgeschliffen, weil in Mehl und Brei
aus Hülsenfrüchten ein gewisser Anteil an Steingrus enthalten war, der bei Gebrauch
steinerner Mühlen hineingeriet. Die Zahnbefunde lassen deshalb den Schluß zu, daß die in der
Michaelskapelle Beerdigten kaum solch grobe Nahrung verzehrten, sondern feinere Speisen
und Fleisch bevorzugten. Andererseits resultieren aus dieser Ernährungsweise Karies und
deren Folgen Zahnausfall und Knochenresorptionen.

Entlang der Mittelnaht des Gaumendachs erhebt sich bei den Schädeln 335 und 346 ein
schwacher Wulst, ein sogenannter Torus palatinus. Diese anatomische Variante hat zwar eine
ungeklärte Entstehungsursache, jedoch erscheint eine Vererbung durch Familienuntersuchungen
nachgewiesen2. In Zusammenhang mit der Frage nach der sozialen Stellung scheint es
zumindest erwähnenswert, daß sowohl bei den Bestattungen in der Stiftspfarrkirche von
Mattsee/Salzburg3 als auch bei denen in der St. Martinskirche zu Ettlingen bei Karlsruhe4
solche Exostosen auftraten.

Verschiedene Wirbelsäulenerkrankungen sind zu erklären. Schmorl-Knötchen fanden sich
als Kennzeichen des Einbruchs von Bandscheibengewebe durch die Wirbeldeckplatten in die
Wirbelkörperoberflächen bei Lendenwirbeln der Bestattung 355. Da keinerlei Hinweise für
Belastungsschäden vorliegen, kann von einer altersabhängigen Ursache ausgegangen werden.
Spondylosis deformans tritt bei den Lendenwirbelsäulen der Bestattungen 335 und 356 auf.
Auch hier liegen altersabhängige, degenerative Veränderungen vor5.

Eine recht seltene Erkrankung weist der Mann 346 auf: Die Randzacken, Wirbelverschmelzungen
(Abb. 3) und Blockwirbel (Abb. 4) legen Zeugnis ab für ein entzündliches,
chronisches Leiden mit Schwerpunkt im Achsenskelett, das zur Steifheit der Wirbelsäule
führen kann. Diese Krankheit wird Spondylitis ankylopoetica oder Bechterewsche Krankheit
genannt6.

An Seltenheit im archäologisch geborgenen Skelettmaterial wird der Bechterew noch vom
sogenannten »Schiefhals« übertroffen. Bei Skelett 356 treten einseitige Vergrößerungen der

2 R. B. Lucas, Torus Palatinus and Torus Mandibularis. In: Pathology of Tumours of the Oral Tissues
(Edinburgh-London-New York 19763). - F. A. Coenraad Moorrees et al., Torus mandibularis: Its
Occurence in Aleut Children and its genetic Determinants. American Journal physical Anthropology
N.S. 10,1952, 319ff. - M.Suzuki u. T. Sakai, A familial Study of Torus Palatinus and Torus Mandibularis
. Ebd. N.S. 18, 1960, 263ff.

3 E.-M. Winkler, Anthropologische Befunde der Skelettreste aus der Stiftspfarrkirche von Mattsee in
Salzburg. Fundberichte Österreich 18, 1979, 147ff. - Ders. u. H. Harum, Pathologisch-morphologische
Befunde der Zähne und Kiefer von Skelettresten aus der Stiftskirche von Mattsee in Salzburg. Ebd. 164 ff.

4 E. Schallmayer, J. H. Schleifring, E. Hahn, Ausgrabungen im Altstadtbereich und in der
St.-Martins-Kirche zu Ettlingen mit anthropologischer Bestimmung des geborgenen Skelettmaterials.
Ettlinger Hefte 21.1987, S. 19ff.

5 Im Gegensatz dazu siehe Schleifring, Anthropologische Gesichtspunkte zum Nebeneinander von
Brand- und Körpergräbern auf römischen Nekropolen - dargestellt am Beispiel Groß-Geraus. Archäologisches
Korrespondenzblatt 16, 1986, 199f. Taf.40, 1-3.

6 L.Vyhnänek, Die Blockwirbel in archäologisch geborgenem Skelettmaterial. Anthropologischer
Anzeiger 33,1972, 258ff. - F. Schilling, Spondylitis Ankylopoetica. In: L. Diethelm (Hrsg.), Röntgendiagnostik
der Wirbelsäule, Teil2. Handbuch der medizinischen Radiologie 6,2 (Berlin-Heidelberg-New
York 1974) 452 ff.

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