Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
24/25(111/112).1988/89
Seite: 174
(PDF, 60 MB)
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Casimir Bumiller

chung und Systematisierung des Verfolgungssyndroms vom latenten antijüdischen Ressentiment
bis zum offenen Gewaltakt und von der Pogromstimmung im »Volk« bis hin zur
herrschaftlichen bzw. staatlichen antijüdischen Politik. Eine solche Geschichte der Judenverfolgung
könnte unter Anwendung der Erkenntnisse der Viktimologie und interaktiver Kommunikationsmodelle
, die von einer Wechselbeziehung von Verfolger und Verfolgtem ausgehen
, letztlich zu einer Psychologie der Verfolgung entwickelt werden, die auch auf andere
Erscheinungen in der Geschichte wie die Hexenverfolgung oder die Verfolgung politischer
Gegner anwendbar wäre.65

Die Forderung nach einer solchen Geschichte kann hier nur angedeutet werden. Es sei
jedoch darauf hingewiesen, daß die bloße Ansiedlung von Juden im 16. Jahrhundert unter den
spezifischen demographischen, sozioökonomischen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen
grundsätzlich den Keim zu Unverträglichkeiten in sich barg. Und in der Motivstruktur
aller Beteiligten war reichlich Potential für Konflikte angelegt. Die angeblich judenfreundliche
Politik ansiedlungsbereiter Herrschaften hatte letztlich ausschließlich ökonomische Motive,
was grundsätzlich keine menschliche Voraussetzung für ein Miteinander verschiedener ethnischer
oder kultureller Gruppen bildet. Die Juden ihrerseits mußten für ihre Privilegien
einerseits dankbar sein, andererseits mußte ihr einseitiges wirtschaftliches Auftreten früher
oder später Anstoß erregen, und die Juden waren sich im 16.Jahrhundert dieser Gefahr
durchaus bewußt.66 Ihr Verweis aufs platte Land brachte sie zudem stärker als zuvor in
Berührung mit der bäuerlichen Bevölkerung, was die soziale Basis für den Judenhaß potentiell
erweiterte.67 Überdies erfuhren alte religiöse Vorbehalte von Christen gegenüber Juden im
Klima von Reformation und Gegenreformation eine aggressive Auffrischung.68 So kann es
nicht verwundern, daß es in der Grafschaft Zollern, auch wenn offene Pogrome nicht
erkennbar sind69, bereits in dieser Zeit deutliche Spannungen zwischen Juden und Christen
gab. Beginnen wir diese Geschichte mit einem Blick in die Nachbarschaft.

Mayr Jud aus Kiebingen in der Herrschaft Hohenberg, dessen Schicksal wir seit 1527
beobachten können, bietet ein gutes Beispiel für die harten Bedingungen, unter denen eine
jüdische Familie zu leben hatte.70 Das Wohnrecht erhielt Mayr mit seiner Familie immer nur
für wenige Jahre. 1530 bekommt der hohenbergische Landschreiber die Anweisung, dem
Juden mit seiner Familie eine Frist zum Wegziehen zu setzen. Auf eine Bittschrift hin wird der
Familie dann jedoch im Januar 1531 der Aufenthalt um fünf Jahre verlängert. Dieser lange
Zeitraum scheint allerdings wieder eingeschränkt worden zu sein, denn am 31. Oktober 1532
erhält Mayr Jud das Recht, ein Jahr länger in Kiebingen zu wohnen, wenn Ine die Vnndertha-
nen daselbst zu wonen leiden mugen. Sie mochten ihn wohl noch zu wohnen leiden, denn weit
über diese Frist hinaus bekommt Mayr Jud 1536 wegen seines guten Betragens sogar
Wohnrecht bis 1542, dies obwohl einer seiner Söhne im Württembergischen einen Landsknecht
erschossen hatte. Jetzt werden die Zeiten für die Familie allerdings härter. Nach dem
Tod des Grafen Joachim von Zollern 1538, dem Hauptmann in der Herrschaft Hohenberg,
hätten die Kiebinger dem Mayr Jud die Fenster eingeworfen, klagt die Regierung in Innsbruck

65 Einen Baustein hierzu liefert Jean Delumeau: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver
Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts. Reinbek 1985, bes. Bd. 2 S. 412-455 über die Juden.

66 Stern (wie Anm. 33).

67 Klaus Deppermann: Judenhaß und Judenfreundschaft im frühen Protestantismus. In: Bernd
Martin/Ernst Schulin (Hg.): Die Juden als Minderheit in der Geschichte. München31985. S. llOff.

68 Siehe hierzu Stern (wie Anm. 33) passim, Deppermann (wie Anm. 67) und Wilhelm Güde: Die
rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts. Sigmaringen
1981. S.9-15.

69 Das erste Pogrom in der Geschichte der zollerischen Juden fand im Jahr 1643 statt; vgl. Kuhn-
Rehfus (wie Anm. 1) S.33f. und Manuel Werner (wie Anm.2) S. 142f.

70 HStASt B19 Liberi foll. 135-137v, 144vff., 152", 171v; Liber2 foll.5rf., 52\ 184vff., 190r. Vgl.
Braunn (wie Anm. 4) Nr. 348, 350.

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