Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
24/25(111/112).1988/89
Seite: 220
(PDF, 60 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1988-89/0226
Rainer Loose

bescheidenen Lesebuch beholfen, das nicht mehr als 6 Pfennig kostete. Wenn man Lesebücher
bestimmt, worinn alle die glänzenden Stoffe und schallenden Namen von Naturlehre, Technologie
, Oekonomie, Dietetick p.p. abgehandelt werden, so ist der geringste Teil im Stande, sie
sich anzuschaffen. Das Amt und die Regierung werden überlaufen, der Pfarrer als die nächste
Ursache, woran der Bauer sich immer reibt, verliert das Zutrauen und die Schule wird die
Quelle eines beständigen Verdrußes. Es gienge, wie bey kirchlichen Reformen. So hat die
hochfürstliche Regierung sehr weise unsere Sommerschulen gemildert, weil die eiserne Noth
auch den heilsamsten Wunsch unterjocht. Sobald die Feldgeschäfte anfangen, sind die großem
Kinder zur Arbeit, die Kleinern zur Hütung der Säuglinge nöthig. Die Aermsten - ihr Name ist
Legion - müssen in Dienste gehen, um leben zu können, weil das Brod im väterlichen Hause
längst aufgezehrt ist.

So gesehen ist die individuelle private und öffentliche Armut Maßstab für alle Neuerungen
und Verbesserungen des hohenzollerischen Schulwesens. Ihr nicht Rechnung getragen zu
haben, ist daher der größte Vorwurf, den Pfarrer Mercy den drei Verfassern macht. Sie sind
wohl auch zu wirklichkeitsfremd, da nicht nur das Geld zum Druck, sondern auch die Zeit
und Muße in der Schule für solche stattlichen Lesebücher fehlen. Denn der Schulalltag wird,
wie Mercy schreibt, von ganz simplen Problemen bestimmt und geprägt. Zwei Klosterfrauen
und sein Vikar Joseph Schweibinz aus Dettensee sowie der Lehrer geben sich Tag für Tag
unendliche Mühe, um den Kindern das Allerunentbehrlichste beizubringen. Wieviele Monate
kostet es nicht, einen Haufen roher Kinder nur Schreiben zu lehren!. Die Tafel allein ist nicht
hinreichend. So hat auch das Zusammenlesen seinen Nutzen; aber man muß sich doch dabey
wieder jedem einzelnen Kinde widmen.

In dieser Kritik spiegelt sich ein wesentlicher Tatbestand der hohenzollerisch-sigmaringi-
schen Schulverhältnisse um 1810 wider. Es gibt zu wenige Lehrkräfte! Bei der Größe der
Klassen und Schulen sowie angesichts der Kürze der Winterschule (von November bis Georgi
= 23. April) kann daher nicht jedem Kind bei der Uberwindung der persönlichen Schwierigkeiten
geholfen werden. Die Geistlichen, die eigentlich nur den Religionsunterricht erteilen
sollten, müssen hier einspringen und aushelfen. Die wöchentliche Schulvisitation des Pfarrers
gerät somit zur täglichen Unterrichtshilfe. Sommerschule und Wiederholungsstunden am
Sonntag(-nachmittag), von oben als Mittel zur Vertiefung des Erlernten erdacht, werden zur
Farce, wenn die Kinder nicht imstande sind, sich überhaupt schriftlich und mündlich zu
artikulieren. Die fraglichen Schulbücher sind in diesem Fall zu anspruchsvoll, zu akademisch,
um von den Kindern richtig verstanden zu werden. Man kann sich deshalb viele Passagen
sparen, gewiß auch, weil sie nicht auf die besonderen Verhältnisse einer agrarisch orientierten,
noch weitgehend ohne jegliche Schulbildung gebliebenen Bevölkerung Rücksicht nehmen.
Denn Pfarrer Mercy stellt fest, daß das Fürstentum keiner anderen bedarf als guter Trivialschulen
. Es (das Fürstentum) hat keine Städte - die wenigen Honoratioren können neben dem
armen Landmanne in keine Betrachtung kommen - keine Gymnasien, wo der Unterricht
fortgeführt und erhöht würde. Diese werden aus Mangel tüchtiger Professoren unmöglich.

Wer die Situation kennt, weiß, daß Mercy hier eine zutreffende Einschätzung des gesamten
Schulwesens gibt. Hingewiesen werden soll lediglich auf die Lehrerbildung im Fürstentum.
Auch in diesem Bereich mangelte es an guten Ausbildungsstätten, an sogenannten Hauptoder
Normalschulen, wo angehende Lehramtskandidaten unter der Leitung eines erfahrenen
Schulmeisters drei und mehr Jahre lang ihr »Handwerk« erlernten, um sich danach einer
amtlichen Prüfung zu unterziehen. Erst mit dem Zeugnis erhielten sie die Berechtigung, sich
auf vakante Schulprovisoren- und Lehrerstellen zu bewerben. Bis dahin war es aber ein langer
und weiter Weg. Denn noch kurz vor 1809, dem Jahr der hohenzollerisch-sigmaringischen
Schulordnung, hatte die Hauptschule zu Sigmaringen, die einzige nach der maria-theresiani-
schen Schulreform von 1774 geschaffene Normalschule, nicht den Ruf, eine hervorragende
Lehrerbildungsanstalt zu sein. Viele damals tätigen Lehrer gingen darum nach Riedlingen,
Buchau, Meßkirch und Haigerloch, um dort entsprechende Kenntnisse für ihren Beruf zu

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