Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
24/25(111/112).1988/89
Seite: 221
(PDF, 60 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1988-89/0227
Wilhelm Mercy und das Schulwesen im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen um 1810

erwerben. Wer studieren wollte, mußte überdies auf einer Latein- oder auf einer Klosterschule
oder aber bei einem Privatlehrer Unterricht nehmen. Denn das Fürstentum kannte solche
weiterführenden höheren Schulen bis 1818 nicht. Als Fürst Anton Alois 1818 das Gymnasium
in (Sigmaringen-)Hedingen schuf, eröffnete sich befähigten Schülern ebenfalls ein solcher
Bildungsweg in HohenzollernI5. Ironie des Schicksals ist es, daß unter den ersten Lehrkräften
des Gymnasiums sich der von W. Mercy kritisch begutachtete Sigmaringer Nachprediger
Joseph Glatz befand. Er war dort bis zum Oktober 1824 Professor der beiden oberen
Klassen16 und unterrichtete alle Fächer.

Wir können daraus entnehmen, daß J. Glatz sicherlich kein unfähiger Lehrer und Pädagoge
war. Mercy spricht ihm diese Fähigkeiten auch nicht ab. Im Gegenteil! Er bestätigt ihm Talent
und Geschick, jedoch meint er: (ich) möcht' ihn aber bitten, daß er mehr zu nützen als zu
glänzen suchte, mehr nach Individualität als nach Idealen, mehr nach praktischer Weisheit als
nach Schimmer und Klang trachtete, sich mehr nach der genügsamen Abgeschiedenheit eines
kleinen Staates als nach dem Beyspiele großer Länder richtete, daß er die Feile öfters ansetzte
und die Kunst zu compendiren lernte, daß er bedächte, die Preisaufgabe sey schwerer als sie im
ersten Anblicke scheinet - Copia inopiam facit17 - und nie vergäße, daß wir in Zeiten leben, wo
viel angefangen, aber wenig vollendet wird.

Etwas befremdend wirkt die Kritik Mercys an den Ausführungen aller drei Lesebuchautoren
zum Religionsunterricht. Er hält die Entwürfe seiner Amtskollegen für wenig tauglich. Bei
Joseph Glatz bemängelt er die Knappheit des eingereichten Textes. Ich vermiße Jesum
Christum, da doch unsere Schulen christliche Schulen sind, und das Christenthum die einzige
Bildungsanstalt für die Volksmasse ist. In einem Lesebuche soll auf die Lehre von Gott ein
ganzer Artikel von Christus folgen. Die Glaubenswahrheiten werden aus dem Katechismus
vorausgesetzt, aber die Moral muß näher an das Herz gelegt werden. Ich wünschte darinn eine
kurze Geschichte von der Entstehung und Verbreitung unserer Religion, biblische Sittenlehre,
Sprüche und Trostgründe für Leiden, Arbeiten und Verrichtungen des Lebens. Im Manuskript
Joseph Anton Schnells fehlen überhaupt Kapitel über Gott und Jesus Christus, ein unverzeihlicher
Mangel, da sich doch im Leben vieles erlernen läßt, nur nicht die Religion. Deshalb ist es
nicht nur ein Schönheitsfehler, wenn das Morgengebet unter den Regeln der Höflichkeit
aufgeführt wird. Bei Joseph Dionys Ebe mißfallen ihm unpassende Vergleiche, zum Beispiel
daß die Seele des Menschen, wie Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit lebe. Statt allgemeiner
Sprichwörter hätte der Verfasser eine Auswahl von Salomos Sprüchen geben sollen, die in
fruchtbarer Kürze die schönsten Lebensregeln seien.

Pfarrer Mercy weiß, daß er den von ihm abgelehnten Lesebuchentwürfen etwas Konkretes
entgegensetzen muß. Er rät daher, auf vorhandene Textbücher zurückzugreifen oder sie in
modifizierter Weise in der Hofbuchdruckerei nachdrucken zu lassen. Für die 1. Klasse taugt
seiner Meinung nach ein in Tübingen gedrucktes Leseheft vollkommen, das unter Einschluß
aller Zoll-, Zensur- und Portogebühren für anderthalb Kreuzer erhältlich ist. Ein Exemplar
legt er seiner Stellungnahme bei. Schwieriger sei es, ein geeignetes Lesebuch für die 2. und die
3. Klasse zu empfehlen. Den Schülern der 2. Klasse gebe man am besten ein bereits anderswo
erhältliches und bewährtes Lesebuch, das im Fürstentum für einen halben Kreuzer pro
Druckbogen (= 16 Seiten) nachgedruckt werden könne, oder man stelle Texte aus verschiedenen
Lesebüchern zusammen, die nur zu Schulzwecken vervielfältigt werden sollten und nicht
in den Buchhandel gelangen dürften. Ein solches Lesebuch sei auch für die Schüler der 3.

15 Roman Stelzer: Geschichte der Gründung und Entwicklung des Gymnasiums Hedingen (anläßlich
der fünfzigjährigen Stiftungsfeier der Anstalt vom 25.-28. August 1868). In: Programm des kgl. katholischen
Gymnasiums Hedingen bei Sigmaringen 1867/68. Sigmaringen 1868, S. 1-63. Maren Kuhn-
Rehfus: Unterricht und Erziehung am Gymnasium während des 19. Jahrhundens. In: Festschrift zur
Einweihung des Hohenzollern-Gymnasiums Sigmaringen 1975. S. 52-53.

16 Stelzer (wie Anm. 15).

17 D.h. die Kopie macht die Not.

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