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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0105
Die Beuroner Gnadenkapelle - ein Hauptwerk der »Beuroner Kunstschule«

sich an die spätbarocken Formen der Klosterkirche anpaßt - besonders mit der Dachform und
den Blendfenstern -, verrät schon ihr Grundriß eine ganz andere Bauidee: Bei Betrachtung des
Grundrisses des heutigen Baues der Gnadenkapelle erscheint sie mit ihrer Kreuzform, der
zentralen Kuppel und den drei Apsiden wie eine Synthese von byzantinischen und romanischen
Bautypen. Doch rührt die Hauptapsis von der Bauplanänderung des Jahres 1902 her.
Ursprünglich war statt dieser ein Kreuzarm wie die des Querhauses vorgesehen, der durch
kleine Sakristeiräume links und rechts verengt werden sollte. Man entschied sich für die
Lösung mit der geräumigeren Apsis, um mehr Platz für die Verrichtung der liturgischen
Funktionen zu haben6.

Wenn man nach möglichen Vorbildern für den ursprünglichen Plan sucht, stößt man auf
das auch in seinen Dimensionen und in seiner Stellung als Kapellen-Anbau ähnliche sogenannte
»Mausoleum der Galla Placidia« (um 450)7. Dieses frühchristlich-spätantike Bauwerk
hat ebenfalls die Form eines lateinischen Kreuzes mit kurzen Kreuzarmen und zentraler
Kuppel ohne Tambour. Bei der Ausstattung werden sich weitere Ubereinstimmungen der
Gnadenkapelle mit dem »Mausoleum« zeigen.

Die »Krypta« der Gnadenkapelle ist über eine seitliche Treppe links zu erreichen und hat
die Form einer dreischiffigen romanischen Hallenkrypta.

Beim Eintreten von der spätbarocken Klosterkirche in die Gnadenkapelle taucht man von
der lichten Kirche in einen Raum mit gedämpftem Licht und (daher) stiller Atmosphäre: Die
gesamte Kapelle ist mit goldgrundiger Malerei überzogen, die den Eindruck einer vollständigen
Mosaizierung vermitteln soll8. Das Licht ist gedämpft, weil es durch die gelben Seitenfenster
in Lang- und Querhaus einfällt und so dem Licht frühchristlich-spätantiker Kirchen
ähnelt. Ebenfalls die Seitenwandgliederung der Langhauswände mit ihren Doppelfenstern und
Figuren erinnert an spätantike Lösungen, wie zum Beispiel die von San Vittore in Mailand
(spätes 5.Jahrhundert)9. Die Apsis der Gnadenkapelle ahmt - leicht erkennbar - die der
Titelkirche S. Clemente in Rom in Ornament und Darstellungen nach. Auch wenn die
Oberkirche von S. Clemente zu Beginn des 12. Jahrhunderts errichtet wurde, geht man doch
davon aus, daß ihr Apsismosaik wohl die Darstellung der größeren frühchristlichen Apsis der
Unterkirche nachempfand, da frühchristliche Symbole wie ein zentrales Kreuz auf dem
Paradiesberg, paradiesisches Rankenwerk etc. die Kalotte beherrschen. Nur die Kreuzigungsdarstellung
ist substanziell eine Zutat des 12. Jahrhunderts10. Wieder wurden für die Gnadenkapelle
spätantik-frühchristliche Symbole und Formen verwendet.

Weitere Ausstattungsdetails rücken die Gnadenkapelle in die Nähe frühchristlicher Bauten
, insbesondere in die des »Mausoleums der Galla Placidia«". Eine archivoltenartige
farbliche Absetzung hebt die Bögen der Kreuzarme von dem zentralen Vierungsbau sowohl
beim »Mausoleum« als auch in der Gnadenkapelle ab. Außerdem werden die Bögen dekorativ
als Gurtbögen abgesetzt. Die Ornamente dieser »Gurtbögen« sind in Ravenna nur kleinteili-
ger und in Beuron ägyptisierend. Überhaupt wurde von der »Beuroner Kunstschule« der

6 Schwind (wie Anm. 2). T. III S. 90.

7 Grundriß: Maße: 12,75m Länge; 10,25cm Breite. Abb. bei Carl Otto Nordstöm: Ravennastudien.
Ideengeschichtliche Untersuchungen über Mosaiken von Ravenna (Figura4). Stockholm 1955. S. 13. Vgl.
F. W. Deichmann: Ravenna. Hauptstadt des spätantiken Abendlandes. Bd. t. Wiesbaden 1969, S. 160ff.;
S. 289 ff.

8 Vgl. Abb. 2.

9 Abb. 3: rechte Seitenwand des Langhauses der Gnadenkapelle. Vgl. mit der Seitenwand der Kapelle S.
Vittore bei S. Ambrogio, Mailand.

10 Vgl. Abb. 2 (Gnadenkapelle) mit Abb. 4: Apsis der Oberkirche S. Clemente/Rom. L. Boyle O.P.:
Kurzer Führer durch die St. Clemens-Basilika in Rom. Dt. Übers. Rom 1983. S. 27ff.

11 Vgl. Abb. 2 mit der Innenansicht des »Mausoleums« vom Langhaus-Kreuzarm gesehen. Abgeb. bei
Friedrich Wilhelm Deichmann: Frühchristliche Bauten und Mosaiken von Ravenna. Baden-Baden
1958. Abb. 311.

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