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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0107
Die Beuroner Gnadenkapelle - ein Hauptwerk der »Beuroner Kunstschule«

sehen, asketischen »Beuroner Kunst« im Sinne ihres geistigen Begründers, Peter/Desiderius
Lenz, worauf ich weiter unten eingehen werde.

Nach dieser kurzen formalen Analyse der Gnadenkapelle auf ihre Vorbilder und deren
Zeitstellung hin kann man sich ihrem Bild- und Ausstattungsprogramm widmen17. Entsprechend
dem Hauptzweck der Gnadenkapelle, nämlich als würdiger Rahmen für die Beuroner
Pietä und als Kapelle für die Pilger, stellen ihre Bilder ein Marienprogramm dar, wobei die
Gnadenkraft des verehrten Bildwerkes geschickt in Verbindung gebracht wird mit der
gnadenspendenden sakramentalen Vermittlerposition der Kirche in Eucharistie und Liturgie.
Nicht zufällig dient die Kapelle auch als Pfarrkapelle und Aufbewahrungsort des Allerheilig-
sten.

Den Tenor des Marienprogramms hat P. Gallus Schwind beschrieben mit »Lob Mariens im
Alten und Neuen Testament«. In hierarchischer Gliederung steigern sich die Bilder von der
zeitlichen Distanz zu Maria im Alten Testament (Kapellenschiff) und nähern sich stetig den
zentralen Heilsereignissen um Maria, um in ihrer Glorifizierung in der Kuppel den Höhepunkt
zu finden: Im noch dunkleren »Schiff« erscheinen Marias Ahnen, ihre prophetischen
Verkünder und Vorbilder (Typen) des Alten Testaments, während man an den erhellten
Wänden der Kreuzarme in die persönliche Nähe Mariens mit ihren Eltern, Verwandten und
besonderen Verehrern gelangt. Ihre eigene Geschichte zieht sich über die Stirnwände der drei
Apsiden hin. Die »Folge« davon und gegenwärtige Situation ist in der ewigzeitlich-runden
Kuppel zu erblicken, nämlich die Glorifizierung Mariens. Außerdem sind noch Ehrennamen
und Anrufungen Mariens vor allem im »Schiff« aufgeführt und bildlich dargestellt, die meist
der Lauretanischen Litanei entstammen. Es wird sich zeigen, daß dieser in Beziehungs- und
Zeit-Hierarchie gegliederte »Lobpreis Mariens« nicht nur Selbstzweck ist, sondern auch
dogmatisch zu verstehen ist.

Gegenüber dem Schiff der Klosterkirche ist das Fußbodenniveau der Gnadenkapelle um
drei Stufen erhöht. An der Rückwand des Kapellen-Schiffes kann man Marias »Wurzeln«
erkennen, nämlich Abraham, den Stammvater des Volkes Israel, und David als Ahnherr Mariä
und Jesu. Hierzu passen auch Stern und Inschrift am rahmenden Bogen: ORIETUR STELLA
EX JACOB (Num 24,17). Im Kreuzgewölbe des Schiffes der Kapelle sind zwischen Rankenornamenten
die vier Propheten des Alten Testaments zu finden, die auf Maria als Jungfrau und
Gottesmutter verwiesen. Sie haben jeweils Schriftbänder mit dem entsprechenden lateinischen
Zitat in ihren Händen. Im Eingangsfeld thront Ezechiel frontal mit dem Attribut eines
Totenkopfes und hält in der Linken ein Schriftband mit der Aufschrift HAEC PORTA
CLAUSA ERIT EZECH XLIV, 2, was in allegorischer Deutung zur Stützung der Jungfräulichkeit
Mariens angeführt wurde18. Ihm gegenüber sitzt der Prophet Daniel mit »seinen
Löwen« für die Weissagung der Geburt des Ghristus (Dan 9,26). In dem Feld zur Rechten,
vom Eingang aus gesehen, steht frontal Jeremias mit seinem Aufruf zur Umkehr, zur Linken
sieht man in gleicher Haltung den »Hauptpropheten« Märiens und »Kronzeugen« für das
Mariendogma, Jesaja. Auf seinem Schriftband ist zu lesen: ECCE VIRGO CONCIPIET ET
PARIET FILIUM (Jes 7,14).

Nicht nur die prophetischen Künder legen für Maria Zeugnis ab, sondern auch ihre
leibhaftigen »historischen« Vorbilder und Vorwegnahmen, die Typen Marias im Alten
Testament, sind bildlich vergegenwärtigt. Die Typologie als sehr alte Form der Allegorese, die
nach dem Schema »Vorbild-Bild« oder »Vorwegnahme-Erfüllung« beziehungsweise »Typus-
Antitypus« zwischen alt- und neutestamentlichen Geschehen und Personen eine Beziehung
und Zusammengehörigkeit herstellt, geht nach dem Zeugnis der Evangelien auf Christus selbst

17 S. hierzu Lit. wie Anm. 6.

18 Da sagte der Herr zu mir: Dieses Tor soll geschlossen bleiben, es soll nie geöffnet werden, niemand darf
hindurchgehen; denn der Herr, der Gott Israels, ist durch dieses Tor eingezogen; deshalb bleibt es
geschlossen. Ez 44,2 (Dt. nach: Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Freiburg
1980).

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