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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0112
Michael Matzke

gesang in wiedererlangter Reinheit - gemäß der Tradition; und nicht zuletzt erforschte man
auch die biblische Uberlieferung, was zur berühmten Edition der Vetus latina-Handschrift
führte.

Dies alles, in der Bemühung um die Bewahrung einer reinen Tradition, stand ganz im
Einklang mit dem neuen Traditionsbegriff der wiedererstarkenden katholischen Kirche, der
Katholischen Restauration33. Es war vor allem die Tradition, die als Zeugin für die Dogmen
von 1854 und 1870 angeführt wurde34. In Abgrenzung gegen den Protestantismus wurden
daher auch betont katholische Traditionen wieder hervorgehoben und gepflegt, so vor allem
die Marienverehrung, wie auch die Heiligenverehrung im allgemeinen, Wallfahrten, Prozessionen
etc. Die Beuroner Marienwallfahrt und deren Gnadenkapelle stehen also ganz im Zug
der Zeit.

Dieser Zug zum Traditionalismus galt aber auch auf geisteswissenschaftlichem Bereich.
Denn in theologischen Abhandlungen wurde zurückgegriffen auf mittelalterliche Symbolik,
insbesondere bei Möhler und Scheeben. Daher ist es nicht verwunderlich, in der Gnadenkapelle
die eigentlich mittelalterliche symbolisch-allegorische Schriftdeutung der Typologie
anzutreffen, wie sie auch Scheeben in seinen mariologischen Abhandlungen gebrauchte35.
Wichtig ist der Rückgriff auf die Tradition auch bezüglich des katholischen Standpunktes in
der Philosophie: Der Thomismus wurde restauriert, das heißt das von Thomas von Aquin
zusammengefaßte und formulierte mittelalterliche Lehrgebäude aus Theologie und Philosophie
wurde als gültig und bindend erklärt. Damit wurde jedoch wieder die Dominanz der
Theologie gegenüber ihrer »ancilla«, der Philosophie, und den anderen Wissenschaften
restauriert. Dies wurde auch in der Beuroner theologischen Schule beherzigt, wo in dem Fach
Philosophie ausschließlich Thomismus gelehrt wurde36. Entsprechend diesem Verhältnis von
Theologie und Philosophie nach den Prinzipien der »Neuscholastik« ist auch die Haltung der
Theologen Maurus und Placidus Wolter zur Kunst zu sehen: Die Kunst soll der Theologie
und dem Kult, der Liturgie dienen: Ist der Zweck der Kunstschöpfung nicht deren innere
Seele?

Das Kunstwerk, im Fall dieses Zitates die Mauruskapelle bei Beuron, soll den Zwecken
und Zielen des Beuroner Mönchtums, nämlich der Pflege von Liturgie, Chorgesang, (Marien-)
Wallfahrt etc., dienen und objektive theologische Wahrheiten - Dogmen - in möglichst
objektiver = entindividualisierter Form illustrieren. Genau dies lobte der Rottenburger
Bischof von Keppler, der ja 1904 der feierlichen Übertragung des Gnadenbildes beiwohnte, an
der »Beuroner Kunst«. Er hob hervor, daß dies »wahre Kunst« sei, also den katholischobjektiven
Dogmen entspreche. Diese Wahrheit verbinde sich mit »idealer Schönheit«, das
heißt entindividualisierter (= antiliberaler) Stilisierung. Die »Beuroner Kunst« weise einen
besonderen »kirchlichen Sinn« auf37.

Man kann also mit Recht behaupten, daß die Gnadenkapelle in geradezu idealer Weise den
Ansprüchen kirchlicher Kreise, zu deren Vorkämpfern auch das Beuroner Mönchtum zählte,
gerecht wurde, indem dieses Kunstwerk sich vor allem durch seine außerordentliche Funktionalität
auszeichnet: Die Beuroner Gnadenkapelle dient zunächst als würdiger Rahmen und
gesonderter Ort der Verehrung der »Schmerzhaften Muttergottes von Beuron« der Pflege der
Volksfrömmigkeit und insbesondere der typisch katholischen Marienverehrung. Hierzu

33 Vgl. hierzu F. Chr. Baur: Kirchengeschichte des 19.Jahrhunderts. Stuttgart 1970. S.309ff.;
L.Grane: Die Kirche im 19.Jahrhundert (UTB 1425). Göttingen 1987. S. 126-133.

34 Vgl. hierzu auch Siebenmorgen (wie Anm. 3) S.247f.; J.Schroeder: Der Liberalismus in der
Theologie und Geschichte. Trier 1883, besonders S.34f.

35 Scheeben (wie Anm. 29) S. 21-37.

36 P. D.Helmecke: die theologische Schule der Beuroner Kongregation, in: Beuron. 1863-1963.
Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Erzabtei St. Martin. Beuron 1963. S. 441-472, hier S. 441 ff.;
hierzu auch allgemein: Schroeder (wie Anm. 34) S. 34-38.

37 Smitmans (wie Anm. 3) S. 190f, S. 195.

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