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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0115
Die Beuroner Gnadenkapelle - ein Hauptwerk der »Beuroner Kunstschule«

Kunsttheorie des 1832 geborenen Künstlers Lenz, seine künstlerischen Prinzipien, die der
Mauruskapelle als seinem Credo und ersten Beuroner Werk zugrundeliegen.

Die künstlerische Entwicklung des Peter Lenz erfuhr nämlich im Jahre 1864 während eines
Studienaufenthaltes in Italien einen entscheidenden Wendepunkt: Der bisher klassizistisch
und gotisch arbeitende junge Künstler »entdeckte« anhand der Publikationen des Ägyptolo-
gen Richard Lepsius den wahren Styl, worauf der tiefreligiöse Lenz bald - entsprechend der
Mode seiner Zeit (vgl. zum Beispiel die Nazarener) - die Satzungen eines Künstlerklosters
entwarf und letztendlich zu den Beuroner Benediktinern kam46. Im Grunde ist sein wahrer
Styl ganz von der kunsttheoretischen Ansicht der katholischen Kirche geprägt47. Nach dieser
Auffassung, die von neuplatonischem Gedankengut geprägt ist, sei die Naturnachahmung, der
mimetische »Naturalismus«, für religiöse oder sakrale Kunst nicht angemessen, weil mit
christlicher Kunst ja keine normalen Ereignisse, sondern Ideen, Heilswahrheiten, Dogmen,
also unkörperlich-Geistiges dargestellt werden soll. So lehnte man zum einen heftig die
»naturalistischen« Ansätze vor allem protestantischer Künstler wie Uhde ab, zum anderen
versuchte man, in Analogie zur bindenden Festlegung von Glaubenswahrheiten in Dogmen,
eine »gültige« religiöse Kunst zu finden, die durch Idealisierung und bestimmte Formeln eine
ihrer religiösen Aussage gemäße Form hätte, und zwar eine entindividualisierte, übermenschliche
, idealisierte.

Doch Lenz ging noch einen entscheidenden Schritt über die »einfache« Idealisierung oder
Ent-Individualisierung, wie sie von katholischen Kreisen gefordert wurde, hinaus und meinte,
daß der hohe Styl der kirchlichen Kunst nur abstrahierend sein könne. Nur die Abkehr von
der illusionistischen Darstellung erschließe die Möglichkeit, tieferliegende und wesentlichere
Sinnebenen einer Sache in deren Darstellung erscheinen zu lassen. Aufgrund der Konfrontation
mit der stereometrischen ägyptischen und griechisch-archaischen Kunst (Veröffentlichungen
Lepsius' und Ägineten in München) glaubte er, die Konstruktions-Ideen des Körpers
überhaupt, und damit den Urgedanken der Schöpfung in geometrisch-architektonischen
Urformen erkannt zu haben48. Wie Abbildung 10 zeigt, versuchte Lenz während seiner
weiteren Forschungen die menschliche Urform = »Kanonfigur«, so wie Gott sie intendiert
hatte, mittels Auflösung des Körpers in möglichst einfache geometrische Formen zu finden.
Durch Stilisierung oder Geometrisierung der mit dem gemeinen Auge in der Natur gesehenen
Formen auf die jeweilige architektonisch-geometrische Urform, »wie sie von der ewigen
Weisheit im Anfang angelegt war«, erkenne man die reine Idee der Form, bevor sie mit der
Materie verbunden wurde, die göttliche Wahrheit vor dem Sündenfall. Allein diese ideale
Urform sei geeignet für die Darstellung göttlicher Wahrheiten: das Höchste, Göttliche oder
leidend-Menschliche - für religiöse Kunst, dogmatische Kunst. Weil diese Formen oder dieser
hohe Styl, wie Lenz ihn nannte, ursprünglich-ideal sind, sind sie auch ewig gültig, überzeitlich,
gleich einem Dogma oder »Kanon«. Weil diese Urfomen geometrisch sind, klare Maße haben
und zueinander in Harmonie stehen, sind sie auch schön49.

Daraus leitete er folgende Gestaltungsprinzipien für Kultbilder ab, was man zum Beispiel
anhand des Fassadenfreskos in der Eingangshalle der Mauruskapelle verifizieren kann50. Er
hat die Abkehr von der illusionistischen Perspektive vollzogen und schuf ein flächiges
Wandbild mit dem Primat von Silhouette und Kontur über die Binnengestaltung. Die Figuren
scheinen körperlos, hier vor allem Maria. Symmetrie und Axialität erzeugen den Eindruck von

46 Ebd., S. 12-24; Siebenmorgen (wie Anm. 3) S. 57-73.

47 Vgl. hierzu: Smitmans (wie Anm.3) S.llff., S.23ff., S.31f., S. 145ff.

48 Siebenmorgen (wie Anm. 3) S. 75 ff. Vgl. Abb. 10: männliche und weibliche »Kanonfigur«, gezeich-
net/geometrisiert von Lenz, 1871.

49 Laut Smitmans (wie Anm. 3) S. 31 ff., S. 262 wurde als biblische Belegstelle für diese Kunsttheorie das
Buch Jesus Sirach (1,9) angeführt: Gott schuf die Weisheit im Hl. Geiste, sah sie, zählte sie und maß sie und
goß sie sodann aus über alle seine Werke.

50 Siebenmorgen (wie Anm. 3) S. 78f. Siehe Abb. 11: Fassadenfresko von St. Maurus.

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