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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0116
Michael Matzke

Harmonie und Schönheit, Ruhe und Würde. Ägyptisierende Elemente, hier vor allem die
Engel, sind auch stets zu finden.

Wenn man nun diese reine, ideale dogmengleiche Kunstform, den hohen Styl, zur
Darstellung von Heilswahrheiten und katholischen Lehren verwenden würde, erhielte man
objektive, »wahre Bilder« in Inhalt und Form, was eine Predigt von unabweisbarer Wirkung
darstellte: Aber eine Macht steth der heiligen Kirche auch noch zu Gebote, wenn ihre Zeit
gekommen ist. Das ist die Gewalt der Kunst im Gewände des hohen Stils; sie ist es, die der
heiligen Kirche einen Nimbus geben wird, daß alles andere wie gemeines Bettelzeug daneben
stehen wird. Und so glaube ich, ... daß, so wie es eine dogmatische Wahrheit, es auch eine in
ihren Formalgesetzen dogmatische Kunst gibtil.

Dies alles hat jedoch zur Folge, daß die gesamte bisherige christliche Kunsttradition, von
der Spätantike über das Mittelalter bis zum Klassizismus, die ja nicht auf den Prinzipien des
erst von Lenz entdeckten »hohen Styls« beruhte, auf falschen formal-künstlerischen Voraussetzungen
aufbaute und daher nichts wert war. In diesem entscheidenden Punkt verstieß Lenz
ganz explizit gegen die allgemeine kirchliche Auffassung von christlicher Tradition. Genau
hiergegen wendet sich das eingangs dieses Kapitels angeführte Zitat von Abt Maurus Wolter.

Aber nicht nur gegen den so zentralen Rückgriff auf christliche Traditionen wandte sich
die Theorie des Pater Desiderius, sondern sie verlagerte auch die Aussagekraft christlicher
Kunst vom »Was« auf das »Wie« oder vom Inhalt zur Form. Das bedeutet, daß die
Glaubenswahrheiten den Gläubigen nicht nur beziehungsweise weniger in dem dargestellten
Gegenstand oder Geschehen vermittelt werden sollten, als vielmehr in deren »wahrer« Form.
Der Künstler bildet dann nicht nur ihm vom Theologen vorgegebene Dinge und Szenen ab,
sondern er stellt diese in der »wahren Form« dar und verliehe so erst diesen Szenen die
»Wahrheit«. Der Künstler würde selbst zum Theologen52. Der Theologe Maurus Wolter
mußte empört sein.

Zur Veranschaulichung dessen genügt es, das Pietä-Fresko der Klosterkirche von St. Gabriel
in Prag zu betrachten (Abb. 17): Der hohe Styl beziehungsweise die Stilisierungs- und
Geometrisierungsgesetze wurden von Lenz in gleichem Maße bei Mensch und Tier, Pflanzen
und Gegenständen (Thron) angewandt. Die Behandlung der Palmblätter unterscheidet sich
nicht von der der Engelsflügel oder dem Kopf Marias; alles ist dem hohen Styl unterworfen,
alles ist formal gleichgeordnet. Die »wahre Form« dominiert hier sogar über den Inhalt.

Damit stand Lenz aber nicht nur gegen katholische Kunstauffassung, und damit auch
gegen seine Oberen, sondern er stand ebenfalls an der Schwelle zur Abstrakte. Es ist daher
kein Zufall, wenn seine Schriften und Werke ab der Jahrhundertwende großes Interesse in den
Kreisen moderner Künstler fanden. Auf Vermittlung des P. Willibrord Verkade beschäftigte
sich insbesondere die Künstlergruppe »Nabis« um Maurice Denis aus dem Kreis um Gauguin
mit dieser Beuroner Kunst, die bis dahin kaum Aufsehen erregt hatte53. Auch heute wieder
wird wegen dieser frühen Ansätze zur Abstraktion von Peter/Desiderius Lenz seinen Werken
und Theorien besondere Aufmerksamkeit geschenkt, wie der Untertitel von Siebenmorgens
Buch verrät: »... Ein Beitrag zur Genese der Formabstraktion in der Moderne«. Allerdings
konnte sich Lenz nie dazu durchringen, ganz die Mimesis zu verleugnen und abstrakt zu
malen.

51 Peter Lenz, zitiert nach Siebenmorgen (wie Anm. 3) S. 78.

52 Vgl. ebd., S. 78-81 und Smitmans (wie Anm. 3) S. 262.

53 Vgl. hierzu Smitmans (wie Anm. 3) S. 189ff., v. a. S. 195-200.

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