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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0205
Besprechungen

ersten Teil von Heft XVIII (Nachträge: XIX, S. 316-321), die sich vor allem mit den Thesen
von Immo Eberl auseinandersetzt. Ich stimme Schneiders Ergebnissen, soweit sie die Ablehnung
der Glaubwürdigkeit von Dagobert-Uberlieferungen betreffen, in vollem Umfang zu.
Hier ist, wenn ich aus der Perspektive der Erforschung der historischen Traditionsbildung
(vgl. Rezensent in: Fabula 29 (1988) S. 21-47) urteilen darf, ein Meisterstück notwendiger
historischer Kritik an modernem »Wunschdenken«, das dunkle Zeiten um beinahe jeden Preis
erhellen möchte, gelungen. In den weiteren Arbeiten des Heftes kommt Schneider auf die
Ausstattung des Bistums Konstanz durch das alamannische Herzogshaus, die St. Galler Zellen
im Nibelgau, die Fulradzellen, die »adelige Eigenkirche«, das Problem der »Stiftergräber«
sowie auf Wehrkirchen und Wehrfriedhöfe (mit vielen Beispielen) zu sprechen. Hervorheben
möchte ich die ausführliche Diskussion des angeblichen »Zellensystems« des Abts Fulrad von
Saint-Denis (S. 267-396) mit Anhängen über den Fernbesitz westfränkischer Kirchen sowie
von Lorsch und Fulda in Südwestdeutschland. Die vor allem von Josef Fleckenstein formulierte
These vom »fränkischen Ausgriff« in den alamannischen Raum wird von Schneider
schlüssig widerlegt. Die zeitweise gängige Überbetonung politischer Motive bei der Klostergründung
wurde zwar auch in jüngeren Arbeiten von Ludwig Holzfurtner und Klaus Naß
zurechtgerückt, trotzdem rennt Schneiders notwendige Skepsis keineswegs offene Türen ein,
da die bislang vorliegenden kritischen Stimmen zum Zellen-»System« zu vereinzelt blieben
bzw. nicht hinreichend beachtet wurden.

Heft XIX enthält wichtige Nachträge, in denen Schneider neues Material und neue Zitate
beibringt, Stellungnahmen der modernen Forschung anführt und auf Kritik repliziert. Sympathisch
berührt, daß Schneider Selbstkritik nicht fremd ist (z.B. S. 75). Der für das Gesamtwerk
unentbehrliche Band, der den jüngsten Stand von Schneiders Auffassungen wiedergibt,
schließt mit einem persönlich gehaltenen Erfahrungsbericht und einer Auswahl aus positiven
Zuschriften, die ebenso wie das Zitierverhalten angesehener Historiker und die bislang
erschienenen Rezensionen (Nachweis S. 352) erkennen lassen, daß die Arbeiten »Beachtung
und Anerkennung gefunden haben« (S. 352).

Schneiders Arbeiten bieten ein eindrucksvolles Gesamtbild der alamannischen Frühgeschichte
von der Zeit des Tacitus bis ins Hochmittelalter, das von einem Einzelnen mit
bewundernswerter Belesenheit und Quellenkenntnis in interdisziplinärem und komparatisti-
schem Zugriff erarbeitet wurde. Sie sind, auch wenn der Zitateanteil außergewöhnlich hoch
ist, mehr als eine oberflächliche Kompilation, da die Zitate in der Regel geschickt ausgewählt
und arrangiert wurden. Die zitierten Stellen machen den Leser unmittelbar mit den Positionen
der älteren und neueren Literatur vertraut, wobei Schneider vor allem auf das ältere Schrifttum
besonderen Wert gelegt hat. Das Bedürfnis, die Auffassungen der vor 1933 in Württemberg
wirkenden Historikergeneration, deren Vertreter Eugen Nägele, Karl Weller, Karl Bohnen-
berger und Peter Goeßler der Autor noch persönlich gekannt hat, vor der unverdienten
Vergessenheit zu bewahren, kann als ein treibendes Motiv des ganzen Unternehmens gelten
(XlX, S. 339). Mit den Worten Schneiders: »Es gibt keinen Grund, die alten Meister zu
verachten. Sie hatten eine umfassende, heute nicht mehr erreichte Kenntnis der Quellen. ...
Dummköpfe waren sie gewiß nicht. ... Es geht nicht an, daß jede Generation - auch noch
gefördert mit öffentlichen Mitteln - eine eigene Meinung erarbeiten will, ohne die immense
Vorarbeit früherer Generationen zu nutzen. Es gibt auch keine Gewähr dafür, daß die neuen
Ansichten die besseren sind« (S. 338f.). Schneider benennt auch, etwa im Heft über die
»Adelsherrschaft«, unverblümt die Gründe, die seiner Ansicht nach zu dem Paradigmenwechsel
nach 1933 und dem ausbleibenden Paradigmenwechsel nach 1945 geführt haben - so
gesehen sind seine Arbeiten ein ebenso eigenwilliger wie notwendiger Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte
der Historie.

Kein Fachhistoriker wird bei genauerem Studium des Gesamtwerks übersehen, daß die
strikte Orientierung an der älteren Forschung den Autor in eine Reihe von methodischen
Sackgassen geführt hat. Es gab damals (wie heute) eben nicht nur »alte Meister«, sondern auch

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