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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1993/0210
Neues Schrifttum

Eckart Conrad Lutz: Spiritualis fornicatio. Heinrich Wittenwiler, seine Welt und sein >Ring<.
Sigmaringen: Jan Thorbecke 1990. 505S., 63Abb. (Konstanzer Geschichts- und
Rechtsquellen 32).

Eines der rätselhaftesten Werke der spätmittelalterlichen deutschen Literatur ist >Der Ring<
des Heinrich Wittenwiler, der seit 1991 dem Publikum in einer wohlfeilen Reclam-Ausgabe
von Horst Brunner zugänglich ist (mit Ubersetzung). 1990 faßte Ortrun Riha »Die Forschung
zu Heinrich Wittenwilers >Ring< 1851-1988« in ihrer Würzburger Dissertation bei Brunner
zusammen (Würzburg 1990). Das ambitionierte Werk von Lutz stellt die bisher umfassendste
Gesamtinterpretation des Textes dar.

Der >Ring< ist in einer einzigen Handschrift in Meiningen (Thüringen) überliefert, die nach
dem Urteil von Karin Schneider aus paläographischen Gründen nur vom Ende des H.Jahrhunderts
bis etwa 1420 niedergeschrieben worden sein kann. Der Text selbst muß nach 1360
entstanden sein {Riha, S. 33) - alle weiteren Aussagen zur Datierung sind Hypothesen. Dies
gilt insbesondere für den Vorschlag von Lutz: 1408/10. Auch über den Verfasser kann man
»nichts wirklich Gesichertes sagen« {Riha, S. 19). Man wird jedoch davon ausgehen dürfen,
daß es sich um den zwischen 1385 und 1397 nachweisbaren Konstanzer Advokaten Heinrich
von Wittenwil handelt, von dem bislang - nicht zuletzt dank der eindringlichen Archivrecherchen
von Lutz - genau fünf Lebenszeugnisse bekannt sind.

Nicht nur für Germanisten ist die Monographie von Bedeutung - auch der Historiker wird
reichen Gewinn aus dem Versuch ziehen können, sozialgeschichtliche Studien zum Bodenseeraum
mit Textinterpretationen zu verknüpfen. Im ersten Abschnitt erfährt man viel über die
politischen Kräfte und Strukturen in der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts, insbesondere
über die Adelssippe Brandis »im Bannkreis Österreichs« und die Stellungnahme der
Konstanzer Bischöfe zur Kirchenspaltung Avignon/Rom. Der zweite Abschnitt arbeitet
akribisch die Lebenszeugnisse Wittenwilers auf. Weiteren Namensträgern Wittenwiler/von
Wittenwil gilt der dritte Abschnitt. Die Bedrohung des Adels durch die Appenzeller Bauern
wird im vierten Abschnitt thematisiert. Zurecht betont wird die »Angst« der adeligen und
städtischen Führungsschichten vor den »geburen«. Der letzte der historischen Abschnitte
beschäftigt sich mit dem Konflikt zwischen Patriziern und Zünften in Konstanz. Im Mittelpunkt
steht dabei der Weinhändler Heinrich Cristan und seine Umgebung. Als Quellengrundlage
dienten vor allem die Archivalien über Konstanz im dortigen Stadtarchiv und im
Generallandesarchiv Karlsruhe. Wer die oft doch eher flüchtige Arbeitsweise älterer und
teilweise auch noch neuerer germanistischer Arbeiten kennt, wenn es um Befunde in historischen
Quellen geht, wird der intensiven und sachkundigen Auseinandersetzung des Autors
mit Archivalien und Ergebnissen der geschichtswissenschaftlichen Forschung Respekt und
Anerkennung nicht versagen dürfen.

Literaturwissenschaftliche Interpretationen nehmen den zweiten Teil des Buches ein. Ich
möchte bezweifeln, ob die Hypothese einer »allegorischen Struktur« des >Ring< sich in der
Germanistik auf Dauer durchsetzen wird. Gleichwohl wird hier wichtiges und umfangreiches
Material zu allegorischen Dichtungen des hohen und späten Mittelalters bereitgestellt, insbesondere
auch zu illustrierten Sammelhandschriften mit allegorischer Thematik. Der 12. und
letzte Abschnitt würdigt die Meiniger Handschrift und ihre Geschichte. Ausführliche Register
und ein umfangreicher Abbildungsanhang beschließen das imponierende Werk, die Freiburger
Habilitationsschrift des Autors.

Daß es sich um den wichtigsten Beitrag zum >Ring< seit langer Zeit handelt, steht außer
Zweifel. Es stellt sich allerdings die Frage, ob nicht eine unkritische und ungeprüfte Übernahme
der von Lutz aufgestellten Hypothesen der Erforschung des Textes, die durch die
anregenden Beiträge von Lutz neuen Auftrieb erhalten hat, nicht mehr schadet als nützt.
Beispielsweise sprechen sowohl Riha als auch Brunner davon, daß es Lutz gelungen sei, die im
>Ring< auftretende Figur des »Haintzo mit der gaiss« mit dem Konstanzer Weinhändler Heinz

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