Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0245
Die psychiatrische Abteilung des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses in Sigmaringen im »Dritten Reich«
1. BAULICHER UND THERAPEUTISCHER STAND UND STILLSTAND

Seit das Landeskrankenbaus der verwaltungsmäßigen Betreuung von Landesdirektor
PC Maier untersteht, wurde manches nachgeholt und im Rahmen des finanziell Möglichen
nichts versäumt, um diese Stätte des Heilungssuchenden den Erfordernissen der neuesten
medizinischen Praxis anzugleichen und um allen, die darin vorübergehend oder auf längere
Zeit Aufenthalt nehmen müssen, zu helfen und ihr Schicksal zu erleichtern. Wie oft macht man
sich die falschesten Vorstellungen vom Inneren solcher Anstalten. Ein Blick in all diese Räume
überzeugt davon, daß an dieser Stätte in hygienischer und sonstiger Hinsicht alles getan wird,
was den Aufenthalt darin erträglich und was das gesundheitliche Wohl und der Heilungspro-
zess erforderlich machen. Es ist durchaus nicht so, wie man in der Öffentlichkeit da und dort
meint, daß in solchen Häusern wie hier im Annahaus nur Erbkranke untergebracht seien.
Unter den Insassen sind nur ein Teil Erbkranke, die übrigen sind Nervenkranke, die hier der
Heilung zugeführt werden sollen ... Wir steigen wieder hinab in die Räume und Gänge, deren
Helle und Freundlichkeit, deren Ordnung und Sauberkeit von unermüdlich sorgenden Händen
künden und die in den größten und modernsten Häusern gleicher Art irgendwo im Reich
kaum vollkommener in Anlage und Ausstattung sein können^.

Derartige schönfärberische Betrachtungen, wie hier zur Eröffnung des Erweiterungsbaus
des Anna-Hauses in der »Verbo« vom 12.2.1938 gaukelten der Öffentlichkeit den Eindruck
vor, als hätten im »Dritten Reich« menschenwürdige Zustände in der psychiatrischen Abteilung
des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses zu Sigmaringen geherrscht.

Intern kursierende Papiere aus den 20er und 30er Jahren zeichnen uns indes vielmehr ein
erbarmungswürdiges Bild der stationären Versorgung psychisch Kranker in Hohenzollern.
Schon damals stellten die regelmäßig von der Universitäts-Psychiatrie Tübingen herbeigerufenen
Fachleute, wie zum Beispiel Prof. Dr. Gaupp, Prof. Dr. Hoffmann oder am entschiedensten
Doz. Dr. Ernst, fest, Ansehen und Bedeutung der Anstalt müßten wesentlich gehoben
werden2. Diese menschenunwürdigen Zustände bestanden schon während der Weimarer
Republik. Verbesserungen stellten sich in Sigmaringen, entgegen den aus gesamtwirtschaftlichen
und politischen Gründen zu beobachtenden Kürzungen und Beschränkungen in den
meisten anderen Anstalten, erst kurz vor und im »Dritten Reich« ein.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es zweierlei vorherrschende Typen institutionalisierter
psychiatrischer Versorgung, die bis in die 30er Jahre unseres Jahrhunderts fortbestanden.

1 StAS Ho. 235 Nr. 133. Ludwig Eduard Fleischmann: Die Kranken werden sorgfältig betreut. In:
VERBO Sigmaringen Nr. 36 vom 12.2.1938.

2 StAS Ho. 235 Nr. 133. Hermann Hoffmann: Schreiben an die Preußische Regierung in Sigmaringen
vom 25.8.1933. S.5. Zu Hoffmann und Gaupp siehe auch zum Beispiel Ernst Klee: Irrsinn Ost -
Irrsinn West. Psychiatrie in Deutschland. Frankfurt 1993. S. 132 und 199. Ebenso Hans-Walter
Schmuhl: Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Göttingen 19922. S. 88, 80, 89, 102, 117, 148,
410. Dort finden sich einige Hinweise für die rassenhygienische Ausrichtung beider Tübinger Professoren
. Eine Bibliographie der bis 1992 erschienenen Veröffentlichungen zur Rassenhygiene, Sterilisation
und »Euthanasie« im »Dritten Reich« bietet Christoph Beck: Sozialdarwinismus, Rassenhygiene,
Zwangssterilisation und Vernichtung »lebensunwerten« Lebens. Bonn 1992. Empfehlenswerte Literatur
zum Uberblick über die Geschehnisse im Nationalsozialismus (neben Schmuhl): Götz Aly (Hg.):
Aktion T 4 1939-1945. Berlin 19892; Gerhard Baader und Ulrich Schultz (Hg.): Medizin im
Nationalsozialismus. Berlin 1980; Till Bastian: Von der Eugenik zur Euthanasie. Bad Wörrishofen
1981; Gisela Bock: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Opladen 1986; Klaus Dörner,
Christiane Haerlin u. a. (Hg.): Der Krieg gegen die psychisch Kranken. Rehburg-Loccum 1980; Ernst
Klee: »Euthanasie« im NS-Staat. Frankfurt 1983; Robert Jay Lifton: Ärzte im Dritten Reich. Stuttgart
1988; Hilde Steppe (Hg.): Krankenpflege im Nationalsozialismus. Frankfurt 19937; Achim Thom und
Genadij Ivanovic Caregorodcev: Medizin unterm Hakenkreuz. Berlin 1989; Tübinger Vereinigung
für Volkskunde e.V. (Hg.): Volk und Gesundheit. Tübingen 1982.

243


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0245