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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1994-95/0398
Neues Schrifttum

Der Verfasserin gelingt mit ihrer Arbeit am Beispiel Württemberg und durch die eingehende
Untersuchung der kaiserlichen Wahlkapitulationen manch wichtige Erkenntnis zur
Reichsverfassung und zur Stellung des Kaisers im Reich. In der älteren Forschung wurde die
Reichsverfassung als etwas Statisches beschrieben und der Kaiser als weitgehend ohnmächtig
angesehen. Wie sich nicht zuletzt am württembergischen Exempel zeigt, war die Reichsverfassung
jedoch dynamisch angelegt: die einander widersprechenden Normen der Reichsverfassung
verursachten ein ständiges Ringen zwischen Kaiser und Reichsständen, um das zwischen
beiden Parteiungen existierende Gleichgewicht zu den eigenen Gunsten zu verschieben. Der
Kaiser war bei diesem Ringen nicht machtlos, sondern wie bereits bemerkt, strukturell durch
die Reichsverfassung begünstigt. Grundsätzlich gestört wurde das System und das Gleichgewicht
durch den Aufstieg Preußens zur zweiten Macht im Reich. Zwischen den Parteien
Preußen und Osterreich, die sich nicht mit den Mitteln der Politik einigen konnten, wurde der
Grundkonsens zerrieben. Die politische Kapazität der Verfassung des Alten Reichs wurde
durch den Dualismus überstiegen, was eine Ursache für den Untergang des Alten Reichs war.
Nicht zu unrecht deutet die Autorin auf vorsichtige Weise Parallelen zum Untergang der
römischen Republik an.

Die Beilegung des württembergischen Konflikts stand jedoch noch in einer Phase der
Annäherung zwischen Preußen und Osterreich nach dem Siebenjährigen Krieg. Hier ist zu
bemerken, daß in den Konflikt sofort die Garantiemächte der württembergischen Verfassung,
Preußen, Hannover/England und Dänemark, involviert wurden. Als protestantische Mächte
standen sie auf Seiten der evangelischen Stände. Preußen hatte darüber hinaus Interesse, seine
Stellung als Vor- und Schutzmacht der Protestanten zu demonstrieren sowie das württembergische
Feld nicht einfach Habsburg zu überlassen. Der Kaiser hingegen betrachtete den
Süden des Reichs als seine Hegemonialsphäre und war bestrebt, Württemberg in seine Klientel
fest einzubinden. Zudem wollte er den Einfluß Württembergs im Schwäbischen Kreis für sich
nutzen und die österreichische Anwartschaft auf Württemberg absichern. Schließlich war er
nicht gewillt, sich seine Rolle als oberster Richter von Preußen streitig machen zu lassen. Dies
war grob skizziert die Interessenlage.

Nachdem die Mitglieder des Engeren Ausschusses der Landschaft die Garantiemächte
zwar in den Konflikt einbinden konnten, aber nichts erreichten, und die Lage sich nach
Auflösung des Landtags 1763 verschärfte, entschloß sich die landschaftliche Führungsspitze
zur Klage beim Reichshofrat. Damit hatte der Kaiser obsiegt. Der Kaiser konnte nun als
offiziell angerufener oberster Richter mit seinem reichsjuristischen Instrumentarium die
Konfliktlösung maßgeblich steuern. Nach einem vergeblichen Versuch zu einem Lokalvergleich
zu gelangen, verlagerte sich der Schauplatz des Geschehens ganz von Stuttgart weg nach
Wien. Nachdem bereits im September 1764 ein Reichshofratsconclusum zugunsten der
Landstände ausfiel, erkannte ein weiteres Conclusum im Mai 1765 auf eine Hofkommission,
zugleich erließ der Kaiser an den Herzog ein Reskript und machte damit seine oberstrichterliche
Stellung deutlich. In diesen Kapiteln untersucht Haug-Moritz »nebenbei« rechtsgeschichtliche
Probleme, die meist ohne genaueres Nachfragen in anderen Arbeiten übergangen
bzw. hingenommen werden: gemeint sind unter anderem Formen des Reichshofratsprozesses,
kaiserliche Reskripte oder die Arbeitsweise einer Holkommission. Diesen Fragestellungen
wird anhand des Beispiels Württemberg nachgegangen. Künftige Forschungen werden es der
Verfasserin danken, daß sie hier Licht in die komplizierten Verhältnisse der frühneuzeitlichen
Rechtsgeschichte warf.

Wie in der gesamten Arbeit an den einschlägigen Orten, werden auch bei der Untersuchung
der Hofkommission die agierenden Personen und ihre Handlungsmotive dargestellt. In
persönlichen Verhandlungen und mit informellen Kontakten wirkten die Mitglieder der
Reichshofratskommission geschickt taktierend auf einen Vergleich zwischen den Parteien hin,
nicht ohne dabei das eigene österreichische Interesse aus den Augen zu verlieren. Der
Erbvergleich, der am Ende der Verhandlungen stand, begünstigte die Landschaft: sie konnte

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