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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1996/0065
St. Fidelis

handelt nach dem Gesetz]? Sondern er, der Heiland, ist gekommen erst im vierten Stand,
welcher wie Christus bezeuget in Johannes angefangen Lex et Prophetae usque ad Joannem
[= Gesetz und Propheten bis auf Johannes]. Da jetzt die menschliche Natur allbereit viertägig
war und von dem Eiter so vieler Sünden anfing gräulich zu stinken, alsdann ist der höchste
Gott innerlichst seines Herzens zur Barmherzigkeit gegen dem menschlichen Geschlecht
commoviert und bewegt worden, daß er von der Höhe herabstieg, uns zu erledigen suchte und
alle erleuchtete, die da saßen in der Finsternis und im Schatten des Todes. Und recht sagt das
heilige Evangelium, daß Lazarus sei auferweckt worden in Bethanien (domo obedentiae [= im
Hause des Gehorsams]). Denn Christus, unser Erlöser, hat mit seinem bis an das heilige Kreuz
starken Gehorsam uns das Heil und Erlösung gebracht und verdienet. Letztlich der Herr, wie
zugleich zur Auferweckung Lazarus er hingegangen, gewandlet, sich selbst betrübt und
geweinet und mit starker Stimme ihn aus dem Grab herausberufen, also auch zur Erledigung
des ganzen menschlichen Geschlechts ist er dreiunddreißig ganze Jahre auf dieser Erde hin und
wieder gegangen, sich ermüdet, sich selbst oft betrübt, bekümmert, oftmals herzlich und
kläglich gegen den Himmel geseufzet, vielmal heiße Tränen vergossen, bitterlich geweinet und
letztlich am Stamme des Kreuzes mit heller starker Stimme geschrieen; alsdann er sein Gebet
und Begehren mit starkem Geschrei und Tränen geopfert hat zu dem, der ihn von dem Tod
konnte selig machen, und ist auch, was seinem Begehren wohl geziemt hat, erhört worden.

Ach gütiger Jesus, unser Herr und Gott, mit einem einzigen Wort hast du uns aus nichts
erschaffen und in das Leben gesetzt, aber daß du uns wiederum erlöset und zu dem Leben,
welches wir durch unsere Sünden verloren haben, bringen möchtest, (hilf Gott!) wieviel
Arbeit, wieviel Seufzer und heiße Tränen, ja den Tod selbst hat es dich gekostet. Ach gütiger
Jesus, ich bitte dich, durch die unbegreifliche Liebe, mit welcher du alles zu unserer Erlösung
hast ausgestanden, wollest mir und allen Sündern die Augen unseres Verstandes öffnen, damit
wir solches recht erkennen, beherzigen und dich darum lieben und in deinen Geboten
gehorsam wandeln, damit wir unsere Sünden, unsere Seelenkrankheiten erkennen und zu dir
herzliche Seufzer und Tränen schicken und sagen Ecce quem amas infirmatur [= Siehe, den du
lieb hast, der liegt krank].

O wie eine kurze Supplikation und Begehren, aber gar lange in dem Vertrauen und in der
Liebe, deswegen das große Vertrauen und Liebe, die jene gegen Christum getragen, haben sie
also mit wenigen Worten ihr Begehren angestellet und nicht vermeint notwendig zu sein viele
Ursachen und Obsekration, damit sie Christus zum Mitleiden und Barmherzigkeit bewegten,
welcher die Ursache des Mitleidens in sich selbst hatte. Und auch wie der heilige Augustin
allhie sagt: £5 ist genug dem, der da liebet, daß ihm die Notwendigkeit des Liebhabens
angezeigt werde, denn er verläßt den nicht, welchen er liebet. Deswegen, indem diese
frommen Schwestern also den Herrn gebeten: Ecce quem amas infirmatur, ist so viel gewesen,
als hätten sie also gebeten: Herr es trifft deine Sache allhie an, das Heil, das Leben und
Gesundheit deines Freundes steht in Gefahr, derohalben nach der Getreue und Gesetz der
wahren Freundschaft ists billig, daß du dir dies als deine eigene Sache lassest angelegen sein
und ihm von dieser tödlichen Krankheit aufhelfest. Oder aber kann auch gesagt werden, daß
die heiligen Schwestern ihrem Bruder die Gesundheit nicht ausdrücklich begehrt, sondern
alles dem Willen Christi heimgesetzt, sprechend: Ecce quem amas infirmatur, denn sie wußten
nicht, was ihrem Bruder mehr nützlich wäre: gesund werden, krank sein oder sterben. Darum
haben sie solches der Weisheit und Güte Christi heimgestellet. Uns allen damit eine heilsame
Lehre gegeben, wie wir in unsern leiblichen Nöten Gott unsern Herrn anrufen und bitten
sollen; derohalben, wenn einer unter uns krank ist, wenn er in einen Unfall, in ein Unglück
gefallen, wenn er versucht ist, wenn er, was Notwendigkeit es auch ist, steckt, so sollen wir
nicht absolute und ohne Bedingung dasjenige von Gott begehren, was wir vermeinen uns
nützlich und gut zu sein, sondern alles in den Willen und Wohlgefallen Gottes setzen, daß er
uns wolle geben, was er vermeint, uns oder denjenigen, für welche wir bitten, mehr nützlich
zu sein. Also lehren uns heut diese heiligen Schwestern zu beten, und auch der heilige

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