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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1996/0066
St. Fidelis

Augustin lehrt, daß wir in zeitlichen Sachen niemals nichts steif und vorsätzlich sollen
begehren, sondern alleinig, was Gott weiß, uns nützlich zu sein. Denn was uns nützlich sein
mag, können wir nicht wissen. Vielmals, was wir vermeinen uns nützlich zu sein, das schadet
uns, und was wir vermeinen uns schädlich zu sein, das ist uns nützlich. Wir sind in dieser Welt
gleichsam als kranke Menschen, darum sollen wir dem himmlischen Arzt, Gott, unserem
Herrn, nicht vorschreiben, was er für Arznei mit uns brauchen solle. Denn viele haben von
Gott, dem Herrn, Reichtum begehrt und denselben mißbraucht und sind verdammt worden.
Viele, weil sie in Krankheit liegen, etwa in Betrübnis oder Versuchung sind, tun darin nichts
Böses, sondern viel Gutes, seufzen stark zu Gott, tun gute Gelübde, rufen Gott und alle
Heiligen demütig an; weil sie aber meinen, daß ihnen solche Krankheit, solche Trübsal, solche
Anfechtung nicht gut sei, begehren sie von Gott, absolute von derselbigen erlediget zu
werden. Wann sie erlediget sind, fallen sie in viel Hoffart, Üppigkeit und Sünde und stehen
also in Gefahr ihrer Seligkeit, daher besser gewesen, sie hätten um solche Erledigung niemals
absolut gebeten und solche Erledigung niemals erhalten, sondern es wäre besser, sie hätten
solches dem Willen Gottes heimgesetzt und allein mit diesen heiligen Schwestern Gott dem
Herrn ihre Notdurft geoffenbart und ebenso gebeten: Ecce quem amas infirmatur, tribulatur,
angustiatur et cetera [= Siehe, den du lieb hast, der liegt krank, hat Schmerzen, ist in Nöten
usw.]. O Herr, der du mich nach deinem Bildnis erschaffen, der du mich hast durch das bittere
Leiden und Sterben deines geliebten Sohnes erlöset et cetera, durch die Liebe, mit welcher du
mir solche und alle Guttaten erwiesen, Ecce quem - siehe mich an, den du liebest, siehe, wie
ich geplaget, gepeiniget und angefochten werde. Erbarme dich meiner nach deinem göttlichen
Willen, ist es zur Ehre deines göttlichen Namens und zum Heil meiner Seele, daß ich also
beängstiget werde, so geschehe dein göttlicher Wille und gib mir nun die Gnad, solches mit
Geduld und in Vereinigung deines heiligen Leidens und Sterbens gerne zu ertragen, wo nicht,
so wollest mich nach deiner großen Barmherzigkeit davon erledigen. Dies ist das kräftigste
Gebet und tauglichste Mittel, in allen Krankheiten und Betrübnissen getröstet zu werden,
dieselbige mit Verdienst zu ertragen und bald davon erlediget zu werden.

Fürs andere lernen wir allhie von diesen Schwestern Martha und Maria, daß, wenn wir
etwa in Leibskrankheiten fallen, gleich und ernstlich unser Herz und Gemüt zu dem
geistlichen Arzt Christo, dem Herrn, zu richten, zu bedenken, daß die Krankheit und
Betrübnis uns vielmal wegen unserer Sünden zugeschickt worden. Deswegen dann auch von
Nöten ist, da wir unser Gewissen mit Sünden behaftet erfinden, zum ersten nach dem
geistlichen Arzt und Beichtvater schicken und alsdann den leiblichen Arzt auch berufen,
dessen Arznei dann auch hernach desto glücklichere Operation haben wird.

Folget weiters im Text, daß Christus habe diese zwei Schwestern gefraget: Wo habt ihr ihn
hingelegt? Als wollte er die Weiber schelten und sagen: Den Menschen, welchen ich in das
Paradies und in das Land des Lebens gesetzt habe, sehet zu, wo ihr ihn hingelegt habet? Damit
sie verstanden, daß der Tod, das Grab, die Verfaulung und der Gestank nicht aus göttlicher
Erschaffung über den Menschen gekommen sei, sondern durch die Schuld und den Fall des
Weibes. Deshalb hat sich Christus anhebend im Geist ergrimmet, sich selbst betrübet,
bitterlich geweinet sprechend: Ubiposuistis eum [= Wo habt ihr ihn hingelegt]? Da sprachen
sie: Herr, komm und sieh es. Und Jesus weinet. O unbegreifliche Liebe! Wohlan, laßt uns ein
wenig besser erforschen die Ursache, warum Jesus geweinet. Denn ohne Zweifel ein großes
Ding muß es sein, darum Christus, der Herr Himmels und der Erde, seine heiligen Tränen
vergießt. Die Menschen greinen zwar vielmal ohne Ursache, und über nichtige Dinge
betrüben sie sich, aber der Sohn Gottes, das ist die Weisheit Gottes. Daß sie umsonst weine, ist
nicht zu glauben. So endlich, weil man da nicht liest, daß er mit Geißeln geschlagen worden
sei, mit Dornen gekrönt. Denn dreimal liest man, daß er geweinet habe: Erstlich zwar, da er
von Martha heut gehört hatte, wo man Lazarus hingelegt gehabt. Darnach als er die Stadt
Jerusalem sah, hat er ihren Fall und Untergang beweinet. Letztlich und zum dritten als er am
heiligen Kreuz mit starkem Geschrei und Tränen für uns gebetet. In welchem allem seine

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