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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1996/0067
St. Fidelis

gegen uns große Liebe erscheint, daß er für seine Schmerzen niemals, aber für die unsrigen
oftmals geweinet hat. Und zwar die Ursache dieses Weinens zu verstehen, so ist zu wissen,
daß unter andern Unterschieden, bei welchen man einen verständigen Mann vor einem Toren
erkennen kann, ist dies das vornehmste, daß die törichten Menschen in denen Sachen, die sie
sehen, nicht anderes betrachten als nur den äußerlichen Schein und Gestalt. Die verständigen
aber und Gott erleuchteten Menschen, die nehmen Ursache aus allen Dingen zu philosophieren
, nachzugründen, indem sie aus denen Dingen, welche sie sehen, lernen erkennen diejenigen
, so sie nicht sehen gleichsam ex causis effectus vel ex effectibus causas [= aus den Ursachen
die Wirkungen oder aus den Wirkungen die Ursachen]. Als derohalben in heutiger Historie,
da man von dem Tod und dem Begräbnis geredet, hat der Herr die Augen seines Gemüts
geworfen auf die Ursache des Todes, nämlich auf die Sünde, welche da ein Ursprung des
Todes ist. Invidia diaboli peccatum introivit in mundum, et per peccatum mors [= durch den
Neid des Teufels fand die Sünde Eingang in die Welt und durch die Sünde der Tod]. Da man
derohalben dem Herrn den Ort des Grabes gezeigt, ist ihm die Sentenz in Sinn gekommen,
welche ist wegen der Sünde wider den Menschen ergangen und ausgesprochen worden: Pulvis
es, et in pulverem reverteris [= Du bist Staub, und du wirst wieder zu Staub werden],

[Christus] hat also nicht über den Tod des frommen Lazarus geweinet, sondern weil der
Tod die erstgeborne Tochter und Effekt der Sünde war, da er contemplierte und betrachtete in
der Tochter die Mutter, in dem Effekt die Ursach, das ist die Sünde, daher der Tod
entsprungen und gekommen ist. Christus beweinet beide Armseligkeiten des Menschen,
nämlich die Sünd und die Pein der Sünd. In dieser Abscheulichkeit hat er die Ursache, nämlich
die Sünde, abscheulich gesehen. Denn was ist erschrecklicher anzuschauen als ein toter
Mensch, was ist abscheulicher, stinkender und vergifteter, pestilenzialischer denn ein toter
Mensch, der eine kleine Zeit unbegraben verbleibt? Derohalben in dieser häßlichen erschrecklichen
Gestalt hat Christus, der Herr, die Abscheulichkeit der Sünde gesehen, beweinet und
sich darüber entsetzt und betrübt. Ach, ist dies nicht eine genügsame Ursache, daß es uns alle
zum Weinen bewege? Christus, der Herr, ergrimmet sich im Geist, betrübet sich und weinet,
und wir Sünder sind still, sind verwegen und zufrieden, als wenn die Sünde und die Strafe der
Sünde uns nichts anginge, als wenn wir nichts Böses getan hätten! Wir haben gesündiget, was
wollen wir tun? Wollen wir uns nicht auch im Geist ergrimmen? Wollen wir nicht auch
anheben weinen? Aber darum weinen wir nicht, dieweil wir nicht erkennen und achten die
große Gefahr und Schäden, in welche wir wegen begangener Sünden gefallen, dieweil wir als
törichte Menschen den Tod allein und seine Gestalt hier schlicht ansehen und nicht wie ein
Verständiger weiter dringen und nachdenken der Ursach des Todes. Und eben dies ist ja, was
heftig zu beweinen wir haben, wie der weise Mann ratet, Eccl[esia]st[es] [= Prediger Salomo]:
Über einen Narren soll man trauern, daß ihm der Verstand gebricht. Also beweinet ein Vater
seinen Sohn, der in einer Taubsucht lachet und dahinstirbt. Wenn jetzt sollte ein Mensch
hiemitten hindurch gehen und wir fingen alle, sobald wir ihn sehen, an zu weinen und uns zu
betrüben, ohne Zweifel würde er fragen und sagen: Was sehet ihr an mir, daß ihr euch
meinethalben also betrübet und weinet? O du armer Sünder, was siehet in dir Christus, daß er
sich im Geist ergrimmet, sich selbst betrübet und weinet? Deine tote Seele sieht er, darüber
ergrimmet er sich, darob betrübet er sich, darob weinet er, derohalben fragt er: Ubi posuistis
eum ? Wo hast du ihn hingelegt? Wo hast den Toten hinbegraben? Wo hast deine tote Seele
hingelegt? Anima, quia peccaverit, ipsa morietur. Ubi posuistis eum [= Die Seele, weil sie
gesündigt hat, wird selbst sterben. Wo habt ihr ihn hingelegt ]? In die Reichtümer; o quia -
veni foras [= O weil - komm heraus]? Setze dein Herz nicht auf Reichtum, denn schwerer ist
es einem Reichen in den Himmel einzugehen als einem Kamel durch ein Nadelöhr. Ubi
posuistis eum ? Auf Wucher und Zinsgewinn - veni foras [= komm heraus], denn was nützt es
dir, wenn du auch die ganze Welt gewinnst und an deiner Seele ein Schaden leidest. Ubi
posuistis eum? Vielleicht in die stinkende Wollust und Unzucht des Leibes. Veni foras.

Da weder Hurer noch Ehebrecher mögen besitzen das Reich des Himmels - veni foras, ehe

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