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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0031
Tirol in Schwaben

unter der Auflage gewährt, daß er sich dem Fürst mit dem Leib ergebe - was dann auch geschieht68
. Daß die Frage der Leibeigenschaft durchaus ein Politikum im Verhältnis zwischen
Herrschaft und Untertanen ist, macht schließlich ein Vorfall in Veringendorf gleichfalls im
Jahr 1676 deutlich: Der dortige Müller Hans Fauler bittet darum, seinem Sohn Matheus die
Heirat mit der Tochter eines Wirts im waldburgischen Obernheim (Oberna) zu erlauben, die
Frau sodann nach Veringendorf ziehen und sie dem alten Herkhommen gemes ... der Leibai-
genschafft befreijt zue lassen. Fürst Meinrad I. reagiert auf diese Behauptung offenkundig erbost
mit dem eigenhändigen Marginalvermerk im herrschaftlichen Amtsprotokoll das ist nit
whar unnd sollte mann dieses Ime nit also hinghen lassen. Dementsprechend wird der obrigkeitliche
Heiratsconsens nur unter der Bedingung gewährt, daß die Frau ihren Geburtsbrief
beibringt, die Einzugsgebühr von 1 Vi Gulden entrichtet und, vor allem, sich mit dem Leib an
die Herrschaft ergibt69. Es wäre zu untersuchen, welche Rolle die Leibeigenschaft in den im
letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wieder aufflammenden Untertanenkonflikten in der Grafschaft
Veringen sowie in den zwischen Herrschaft und Untertanen seit 1674 abgeschlossenen
diversen Verträgen spielt. In den Auseinandersetzungen und Verträgen vor dem Dreißigjährigen
Krieg scheint der Leibeigenschaft eine eher marginale Rolle zuzukommen70.

Nach ihrem Höhepunkt in den Jahren etwa zwischen 1655 und 1675 klingt die Zuwanderung
zum Ende des 17. Jahrhunderts in dem Maße ab, wie sich die Bevölkerungsentwicklung
in den Zerstörungsgebieten des Dreißigjährigen Krieges wieder allmählich dem Vorkriegsstand
annähert und gleichzeitig, wie gesehen, die Widerstände gegen die weitere Aufnahme
zumal von Armen in den Dörfern und Städten wachsen. Nicht zuletzt aufgrund der Sprach-
und Konfessionsgleichheit von Zuwanderern und Einheimischen sowie der verbindenden
bäuerlich-handwerklichen Herkunft scheint die Integration der Zuzügler langfristig keine
Probleme aufzuwerfen. Spätestens in der Mitte des 18. Jahrhunderts sind die Nachfahren der
zugewanderten Schweizer, Österreicher und Bayern zu überzeugten Schwaben geworden, bei
denen die Erinnerung an die Herkunft ihrer Vorfahren weitgehend verblaßt ist. An das gewaltige
Migrationsgeschehen erinnern neben den Spuren in alten Akten und Büchern vor allem
noch verschiedene, mit großer Wahrscheinlichkeit auf die einstigen Zuwanderer zurückgehende
Ortsbenennungen wie etwa die Schweizerwege in zahlreichen Dörfern, darunter etwa
auch in Steinbronnen bei Saulgau und in Ennetach bei Mengen71, oder möglicherweise auch
der Stadtteil Tirol in Veringenstadt. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts geht die Zuwanderung
an der Oberen Donau wie in zahlreichen anderen deutschen Landschaften zunehmend in eine
Auswanderung aus den nun wiederum zunehmend an Übervölkerung leidenden Städten und
Dörfern über. In Bingen beispielsweise finden sich die ersten Hinweise auf Ungarn-Auswanderer
bereits in den 1690er Jahren: Einem Eintrag im Binger Gerichtsprotokoll vom März
1690 zufolge hat der Schuhmachermeister Johannes Reiser seinen Hof verkauft und ist Wüllens
, in Ungerlandt zu ziehen, und im Sterberegister des Binger Kirchenbuchs ist 1696 der Tod
eines armen Hürt(en), retur ex Hungaria in autumno, also eines im letzten Herbst aus Ungarn
wieder zurückgekehrten Hirten, vermerkt72. Im Laufe des 18. Jahrhunderts verlassen sodann
mehrere tausend Menschen, zumeist Angehörige der landarmen Unterschichten der Städte

68 Amtsprotokolle der Grafschaft Sigmaringen 1673-1676 (wie Anm. 22), Eintrag v. 1. 6. 1676, fol. 21v.

69 Ebd., Eintrag v. 6. 3. 1674, fol. 42vf.

70 Deutschmann (wie Anm. 62), S. 178, erwähnt die Leibeigenschaft lediglich als eher marginalen Punkt
im Innsbrucker Vertrag zwischen Graf Karl II. von Hohenzollern-Sigmaringen und den Untertanen der
Grafschaft Veringen vom 27. 1. 1605 (1. Teil E Punkt 22). Die Veringer Untertanenkonflikte nach dem
Dreißigjährigen Krieg harren bislang noch der Aufarbeitung.

71 Schweizergassen erwähnt Franz (wie Anm. 2), S. 65, auch für verschiedene Ortschaften in der ehemaligen
Kurpfalz bei Heidelberg.

72 Binger Gerichtsprotokolle 1689-1700 (Gemeindearchiv Bingen I Nr. 186e), Eintrag v. 5. 3. 1690; Binger
Kirchenbuch 1636-1700 (wie Anm. 6), Sterberegister.

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