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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0034
Walter Knittel

vierte Arbeitsimmigration begleitet eben auch die Epoche des nationalen und zunehmend nationalistischen
Aufstiegs des Zweiten Deutschen Reiches.

Am Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich Deutschland in der Phase der Hochindustrialisierung
mit dem Ubergang vom agrarisch geprägten zum Industrieland, vom »Auswanderungsland
« - nicht zum Einwanderungsland - sondern zum »Arbeitseinfuhrland«3. Mit dem
Ausklingen der dritten Auswanderungswelle (1880-1983) Anfang der neunziger Jahre des
19. Jahrhunderts war auch die deutsche überseeische Massenauswanderung zum Erliegen gekommen
. Die deutsche Industrie war nun soweit entwickelt, daß sie das Gros der freien Arbeitskräfte
aufnehmen konnte. »Leutenot« in der Landwirtschaft, »Arbeiternot« in der Industrie
, im Eisenbahn,- Straßen- und Kanalbau steigerten seit den 1890er Jahren den Zustrom
»ausländischer Wanderarbeiter« nach Deutschland zur Massenbewegung. Am Vorabend des
Ersten Weltkriegs gab es nach amtlichen Schätzungen bereits rund 1,2 Mio. ausländische Wanderarbeiter
im Reich. Getrieben wurden sie in der Regel von den vergleichsweise guten Verdienstmöglichkeiten
auf der einen Seite und den wirtschaftlich schlechten Verhältnissen in der
Heimat.

Hinzuweisen ist an dieser Stelle übrigens auch auf die Bedeutung Deutschlands als Transitland
für die überseeische Auswanderung im 19. Jahrhundert, vor allem aus Polen, Ostgalizi-
en, Südosteuropa. Fast umgekehrt proportional zum steilen Absturz der deutschen Massenauswanderung
wuchs Anfang der 1890er Jahre die ost- und südosteuropäische Amerikaauswanderung
zur Massenbewegung an, die Deutschland nur als Transitland berührte. Sie war von
außerordentlicher Bedeutung für die deutschen Schiffahrtslinien, deren Agenten das »Auswanderungsfieber
« in Ost- und Südosteuropa zwar nicht auslösten, aber doch nachdrücklich
stimulierten ... Bis zum Ersten Weltkrieg passierten mehr als 5 Millionen Auswanderer aus
Rußland (besonders Polen und Juden) und aus Österreich-Ungarn das Reichsgebiet auf dem
Weg zu den Seehäfen*.

Einen bedeutenden Teil des komplexen Wanderungsgeschehens im deutschen Kaiserreich
bildete die italienische Immigration, man kann sogar sagen, die italienische Massenimmigration
. Die Italiener stellten in den Jahren um die letzte Jahrhundertwende - mit rasant steigender
Tendenz - sehr bald die viert- beziehungsweise drittgrößte Gruppe der ausländischen
Arbeiter in Deutschland. Von 1890 bis 1910 belief sich der Zuwachs der Einwanderergruppe
(das heißt der Italiener, d. V.) auf circa 670 %; bezogen auf das Reichsgründungsjahr 1871, als
knapp 4000 Italiener gezählt wurden, betrug er bis 1910 sogar annähernd 3000 %. Der prozentuale
Zuwachs der Deutschlandimmigranten anderer Nationen wurde durch den enormen
Anstieg der Italienerzahlen bei weitem übertroffenb. Die am 12. Juni 1907 auf Reichsebene
durchgeführte Berufszählung ermittelte immerhin mehr als 147000 Italiener, von denen über
121 000 in erster Linie als industrielle Arbeiter tätig waren. Die jeweiligen Dezembervolkszählungen
, die gelegentlich für statistische Aussagen über die Zuwanderung herangezogen worden
sind, mußten zwangsläufig deutlich niedrigere Werte aufweisen, worauf auch Hermann
Schäfer bereits aufmerksam gemacht hat, da ein großer Teil der italienischen Arbeitsmigranten
während der Wintermonate in ihre Heimat zurückkehrte6.

Im 19. Jahrhundert wurde Wanderarbeit aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen
allmählich zu einem Massenphänomen. In allen Gegenden waren die Menschen
somit mit den Auswirkungen der Wanderarbeit konfrontiert beziehungsweise waren selbst

3 Vgl. hierzu bes. Klaus J. Bade, Homo migrans. Wanderungen aus und nach Deutschland. Erfahrungen
und Fragen. Essen 1994, S. 30ff.

4 Ebd.

5 Rene Del Fabbro: Italienische Industriearbeiter im wilhelminischen Deutschland (1890-1914). In:
VSWG 76 (1989), S. 202-228, S. 204. Natürlich sind die alle statistischen Angaben in diesem Zusammenhang
mit Vorsicht zu genießen, worauf auch Del Fabbro hinweist. Sie lassen jedoch zumindest die Dimensionen
und die Relationen der einzelnen Wanderungsbewegungen erkennen.

6 Schäfer (wie Anm. 9), S. 196.

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