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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0042
Walter Knittel

keit nach deren Fortgang sofort wieder einen monotonen und gemächlichen Charakter an. Um
dem Unmut gegenüber Aufsichtspersonen Ausdruck zu verleihen, riefen die Italiener den Vorgesetzten
gelegentlich »Ein Schaff drei Guck« zu, womit gemeint war, daß auf einen Arbeiter
drei Aufseher kämen. Ob dies generell der Realität entsprach, bemüht sich Del Fabbro zu betonen
, ist indes fraglich. Denn der Ruf der besonderen Leistungsfähigkeit beruhte gewiß nicht
allein auf der Täuschung von Vorgesetzten (!).33

6. LEBENSBEDINGUNGEN AUF DEN GROSSBAUSTELLEN

Am Beispiel der Wohnverhältnisse der italienischen Ziegeleiarbeiter läßt sich nachvollziehen,
wie die Wohnverhältnisse in Baracken und Massenunterkünften für Wanderarbeiter generell
in diesen Jahren ausgesehen haben mögen. Die schlimmsten Zustände (aber) treten uns entgegen
, wenn wir uns den Wohnungsverhältnissen der italienischen Ziegelarbeiter zuwenden. Die
Arbeiter werden in den meisten Fällen im Ziegelwerk selbst einquartiert, teils weil die Ziegeleibesitzer
und Akkordanten es so wünschen, um die Arbeiter jederzeit zur Verfügung zu haben,
teils weil bei den oft abseits gelegenen Ziegeleien eine anderweitige Unterbringung... unmöglich
wäre... In früheren Jahren wurden einfach nur Hütten errichtet, deren dünnen Holzwände
nur wenig Schutz gegen die Außentemperatur boten. Auf dem Boden war Stroh geschichtet,
das in manchen Ziegeleien während der Saison gar nicht gewechselt wurde und infolge des
eindringenden Wassers zu faulen begann... Im Laufe der Jahre traten hier Verbesserungen ein.
In der Regel dienten als Betten dann aus rohen Latten rasch gezimmerte Holzgestelle mit
Strohsack und dünner Wolldecke, zwischen denen oft kein Durchgang möglich war34.

Ob die ausländischen (und auch fremden deutschen) Erd- und Bauarbeiter bei den Eisenbahn
-, Straßen oder Wasserleitungsbauprojekten in der Region in primitiven Baracken an der
Baustelle wohnten oder eher in den naheliegenden Ortschaften untergebracht waren, ist nicht
immer zu klären. Es spricht manches dafür, daß die Wanderarbeiter bei permanent wandernden
Baustellen, wie Straßen-, Eisenbahn- und Wasserleitungsbau, eher befristet Schlafgelegenheiten
in den Dörfern suchen mußten. Doch auch dann dürften die meist billigen »Schlafsäle«
und »Massenlager« kaum irgendwelchen Komfort besessen haben. Vielfach mietete auch der
»Capo« irgend einen Schlafsaal für seine Gruppe an. In der Aldinger Fremdenliste tritt uns des
öfteren ein Aufseher »Lucar« entgegen, der neben einzelnen Aldinger Bürgern als Vermieter
auftritt. Richard Leute, der die Liste eingehender analysiert hat, ist sich aufgrund der Ortskenntnisse
sicher: Wenn ... ein Aldinger Wirt auf einmal sechs oder acht Gäste aufnahm, so
kann es sich nur um einfache Massenquartiere gehandelt haben, Schlafsäle oder dergleichen.
Vielfach wurden in dieser Fremdenliste Aldinger Bürger als Vermieter angegeben, die sich auf
diese Weise ein kleines Zubrot verdienten. Von anderen Orten weiß man, daß diese Unterkünfte
oft recht primitiv waren: eine fast leere Kammer, ein Platz auf dem Heuboden oder hinten
im Stall, oder einfach ein Bretterverschlag mit einem Strohsack35.

Daß die Nahrung der Bauarbeiter recht einfach und wenig ausgewogen gewesen sein dürfte
, versteht sich fast von selbst. Die vom Akkordanten gebotene Beköstigung besteht ausschließlich
aus Polenta (ein aus Maismehl hergestelltes italienisches Nationalgericht) und Käse.
Zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot stets die gleiche trockene Nahrung. Meist wird
die Polenta vom Akkordanten selbst zubereitet; dazu erhält jeder Arbeiter das kontraktlich
vereinbarte Quantum Parmesankäse, meist 2-3 Pfund wöchentlich36. Dies relativiert sich aber

33 Del Fabbro: Transalpini (wie Anm. 10), S. 158.

34 Britschgi-Schimmer (wie Anm. 11), S. 160ff.

35 Richard Leute: Ausländische Arbeitskräfte in Aldingen 1867-1869. In: Tuttlinger Heimatblätter.
Jahrbuch 1994, S. 48-53, hier S. 51.

36 Britschgi-Schimmer (wie Anm. 11), S. 155.

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