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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0057
EUGEN BAACKE

»Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling«

Schlußwort

1. GENIESSE DEN KRIEG, DER FRIEDEN WIRD FÜRCHTERLICH

Sie verließ am 23. April 1945 das Rittergut Klein Luckow, Kreis Prenzlau, das in der Nähe von
Pasewalk, ca. 30 Kilometer von Stettin entfernt lag, in Richtung Westen mit der Stabsbildabteilung
der 3. Panzerarmee. Er folgte ihr drei Tage später mit einem Fahrrad, steckte noch Revolver
, Munition, eine Unterhose, ein Paar Strümpfe und eine Flasche Himbeergeist ins
Gepäck. Nach mehreren Tagen fand er seine Frau wieder und folgte der Einheit, die täglich
ihren Standort wechselte, über Güstrow bis nach Lübtheen. Dort wurden die Soldaten von
den amerikanischen Truppen gefangen genommen und die Zivilisten in einem Lager kaserniert
. Wie sie später erfuhren, wurden alle den russischen Truppen übergeben. Sie konnten aus
dem Lager fliehen und überquerten bei Bleckede die Elbe mit einem Kahn, den ihnen ein US-
Soldat überließ, nicht ohne sie vorher vor den Minenfeldern zu warnen. Sie überlebten.

Die Frau erinnerte sich an die Worte ihres Bruders, der ihr geraten hatte, bevor er an die
Front kommandiert wurde: »Genieße den Krieg, der Frieden wird fürchterlich!« Er war Ende
1944 im Baltikum gefallen.

Mit der Verpflegung wurde es immer schwieriger. Vor allem war es für sie, denen es bisher
an nichts mangelte, schwer, um das tägliche Essen betteln zu müssen, besonders wenn es kaum
etwas gab und die Leute sagten: »Wärt ihr doch da geblieben, wo ihr hergekommen seid.«

Die weiteren Stationen: Celle-Hannover-Hildesheim-Göttingen-Fulda. Vorbei an zerstörten
Städten, abseits der Zugstraßen, immer auf der Hut vor plündernden und marodierenden
»Fremdarbeitern«. Sie übernachteten meist im Freien, im Schutz der Wälder, wünschten
in ihrer Bitterkeit manchem stolzen Hofbesitzer Böses und dem Anwesen Schlechtes.

In Gemünden am Main erhielten sie den ersten Passierschein. Durch das schwer zerstörte
Würzburg nach Bad Mergentheim, Crailsheim, Ellwangen, Aalen, Heidenheim bis Ulm. In
Erbach arbeiteten sie drei Wochen auf einem Bauernhof, weil sie gehört hatten, daß französische
Truppen deutsche Männer internierten und nach Frankreich zum Arbeitsdienst transportierten
.

Trotzdem wagten sie sich im Morgengrauen bei Ehingen über die Donau, kamen von der
amerikanischen in die französische Besatzungszone und gelangten auf Feld- und Waldwegen
in die Heimat der Frau. Die Flucht endete am 15. Juli 1945 in der Nähe von Saulgau in einem
oberschwäbischen Dorf. Dies ist die kurze Geschichte des langen Marsches und der noch längeren
Ankunft meiner Eltern. Mein inzwischen 88 Jahre alter Vater bemerkt mitunter bitter, er
sei nicht heimisch geworden, weil er immer noch - nach über 50 Jahren - als »Rei'gschmeck-
ter« behandelt werde. - Ich bin ein Flüchtlingskind.

Das Veringer Forum 1996 hatte als Thema »Fremde Heimat. Zuwanderungen nach Südwestdeutschland
vom 17.-20. Jahrhundert«. Zum einen war es die in der Einleitung geschilderte
persönliche Konfrontation, im Dorf daheim von den alteingessenen Einheimischen als
Flüchtlingskind stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden, die mich zu diesem Schlußwort beim

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