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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0062
Eugen Baacke

pital- und Kommunikationsflüsse in globalem Rahmen, die zu hoher geistiger und räumlicher
Mobilität zwingen - diese komplexen Faktoren bewirken, daß man sich in einer bisher überschaubaren
Welt nicht mehr zurechtfindet, die Orientierung verliert und aus Angst vor dem
Fremden Zuflucht zu einfachen, rassistischen beziehungsweise nationalistischen Erklärungsmustern
sucht. Wenn Rechte, Privilegien, Sicherheiten, Status wegzubrechen drohen, bedeutet
jeder Fremde grundsätzlich eine Gefahr: Wenn der kulturelle Wandel so verläuft, daß Privilegien
umverteilt werden und Armut entsteht, dann beginnt man Fremde, Einwanderer, Asylsuchende
als bedrohlich zu empfinden; dann kommt Rassismus ins Spiel. Weil er eine Ideologie
ist, die den einheimischen Unterprivilegierten, jenen, die zu kurz kommen, suggeriert: Ihr seid
Angehörige einer herrschenden Rasse. Und gleichzeitig geschieht ein Zweites: Die Fremden
werden benützt, um die Unterprivilegierung zu erklären. Ob es nun um Wohnungsnot geht
oder um Arbeitslosigkeit: die rassistische Ideologie führt die Mißstände nicht darauf zurück,
daß die Gesellschaft unfähig ist, mit den Problemen umzugehen, und daß eine neue Phase
wirtschaftlicher Umstrukturierung stattfindet, sondern auf die Fremden: Gäbe es sie nicht, wäre
alles in Ordnung^.

Die Beschreibung des Fremden durch den Psychoanalytiker und Ethnologen Mario Erdheim
hilft uns, die Situation dieser Randpersönlichkeiten, sogenannter marginal men, besser
zu verstehen, die am Rande zweier Kulturen und zweier Gesellschaften, die einander niemals
ganz durchdrangen und verschmolzen, leben:

Unsere Kultur umfaßt nicht alles. Sie ist begrenzt, und jenseits der Grenzen befindet sich
das, was wir nicht kennen ... Das Fremde ist... ein Konzept für all das, was zwar nicht zu uns
gehört, uns aber doch auf eine spezifische Art und Weise betrifft. Nie läßt das Fremde uns
gleichgültig. Wir verhalten uns gegenüber diesem Fremden ambivalent: Es erweckt Angst und
treibt uns in unsere Welt zurück, zugleich aber vermag es zu faszinieren und uns aus unserer
Welt hinauszulocken. Lassen wir uns auf das Fremde ein, so kommt es zu Grenzverschiebungen
, und wir müssen uns ändern. Gehorchen wir der Angst, so werden wir die Grenzen verstärken
und befestigen. Das Fremde wird zum Feind, der mit Gewalt abgewehrt werden muß,
und dessen Gegenwart uns ängstlicher und starrer machtn.

Zugleich spiegelt sich im Fremden das eigene Ich, sei es in der unbewußten Projektion von
Wunschbildern auf den anderen, sei es in der uneingestandenen Angst vor Identitätsverlust, in
der Angst vor Heimatlosigkeit:

Der andere mag aussehen und handeln wie wir, doch besitzt er für uns etwas Unfaßbares,
auf das wir die eigenen Lustdefizite projizieren: Dem anderen fällt alles leichter; er ist politisch
und sexuell omnipotent. Es ist dieser unfaßbare traumatische Moment, der uns zu schaffen
macht. Gewalt kann dann als geeignetes Mittel erscheinen, dem anderen seinen Spaß zu verderben
: So entstehen Haß und Rassismus. Dabei bleibt das Objekt des Hasses unzerstörbar.
Denn je mehr wir es beseitigen wollen, desto mehr nimmt diese phantastische Angst zun.

Der andorranische Jude von Max Frisch, unser zweites Ich, schlummert in jedem von uns;
es bedarf nur der anderen, daß wir unsere Zugehörigkeit, unsere Identität verlieren und zum
Fremden werden:

Weil er uns Angst macht, stellt der Fremde unsere eigene Rolle in der Gesellschaft in Frage.
Ich muß ihn nur ansehen, um zu begreifen, daß auch ich, in den Augen eines anderen, ein
Fremder sein kann ... Mit anderen Worten: Man wird sehr schnell zum Fremden - es genügt, so
behandelt zu werden. Man wird ausgeschlossen, weil es Menschen gibt, die einen verstoßen.

11 Mario Erdheim: Fremdenangst kennt jede Kultur. In: NZZ-Folio (Juni 1992) S. 26.

12 Mario Erdheim: Die gesellschaftliche Produktion von Unbewußtheit als Quelle interkultureller
Konflikte. 1991. S.8. Bade (wie Anm. 4) S.13.

13 Justin Hoffmann: Identitäter und Opfer. Die schweren Themen der Kulturwissenschaft: »Postkolonialismus
und globale Migration«. In: Süddeutsche Zeitung Nr.232 vom 8.10.1996. S. 13.

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