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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0063
»Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling«

Das heißt auch, daß stets einer die Verantwortung dafür trägt, daß der andere sich nicht zugehörig
fühlen darf, seine Sicherheit und damit seine Identität verliert. Es ist meine Schuld,
wenn der andere zum anderen wird...14.

4. BEMERKUNGEN ZU EINER INTERKULTURELLEN POLITISCHEN BILDUNG

Eine kritiklose »Folklorisierung des Fremden« bei Nationalitäten übergreifenden Straßenfesten
, die in die jährlich einmalige Cevapcici-Maultaschen-Allianz mündet und im Identitätsbrei
eines von Sangria getrübten, verstolperten Sirtaki gipfelt, versucht zwar, ethnische Unterschiede
zu nivellieren, deckt dabei aber bestehende Differenzen zu und verdrängt sie nur, ohne
konkrete Lösungsmöglichkeiten anzubieten: Multikulturelle Bestrebungen beruhen auf
der Vorstellung von bürgerlicher Liberalität und damit auf einem westlichen Prinzip. Andere
Kulturen werden vereinnahmt und nach einem europäischen 'Wertesystem kategorisiert. Doch
die Welt besteht nicht einfach aus einem netten Nebeneinander von Völkern, die mit ein wenig
gutem Willen ihre Machtkämpfe beenden und die Gegensätze ihrer Denk- und Lebensarten
aufheben könneni5.

Gesellschaften werden nicht durch Statik, sondern durch Dynamik geprägt, deshalb
gehören Wandel und Veränderung zu ihren konstitutiven Elementen. Gerade Jugendliche erfahren
dies in der Lebensphase der Adoleszenz täglich und mitunter schmerzlich. Da Kinder
und Jugendliche in ihren Fragen, Problemen und Konflikten die Zukunftsperspektiven quasi
im embryonalen Zustand verkörpern, muß Pädagogik und politische Bildung Modelle anbieten
, die interkulturelles Lernen ermöglichen16.

Den verschiedenen Ansätzen dieser 'pädagogischen Reaktion' auf die kulturelle und ethnische
Pluralität der Gesellschaft ist der Versuch gemeinsam, ein positives Verhältnis zu kultureller
Vielfalt zu entwickeln, von der Gleichwertigkeit der Kulturen auszugehen und einen kulturellen
Pluralismus positiv zu bewerten ... Unter interkulturellem Lernen wird das gemeinsame
Lernen von Menschen unterschiedlicher nationaler beziehungsweise ethnischer Herkunft verstanden
. Interkulturelle Bildung nimmt Bezug auf die jeweiligen, auch kulturell geformten
Erfahrungen, orientiert auf Gemeinsamkeiten auf der Basis der Akzeptanz von Unterschieden
, orientiert auf gleichberechtigte Beziehungsformen und sucht zur Gestaltung neuer Lern-
und Lebensmöglichkeiten beizutragen".

Für Art und Ausprägung politischer Bildungsarbeit, die von einer Landeszentrale für politische
Bildung geleistet werden kann, ziehen Frech/Keitel folgende Schlußfolgerungen für einen
interkulturellen Bildungsansatz: Ängste müssen ernstgenommen und thematisiert werden
, politische Bildung muß informieren und aufklären, politische Bildung muß unter dem
Gesichtspunkt der Innovation neue Angebots- und Seminarstrukturen entwickeln, politische
Bildung muß gemeinsame Lernprozesse ermöglichen.

Signalwirkung und Modellfunktion kommt dem in der Landeszentrale für politische Bildung
Baden-Württemberg praktizierten didaktischen Ansatz der »Begegnung« zu, insbeson-

14 Wiesel (wie Anm. 10) S. 91.

15 Hoffmann (wie Anm. 13) S. 13; vgl. Peter Glotz: Auf der Flucht. Unterwegs in die multikulturelle
Gesellschaft. In: Fluchtpunkt Deutschland. Hg. von Ralf Ludwig/Klaus Ness/Perik Muzaffer, 1992,
S.17, der provokant bemerkt: »Eine multiethnische Gesellschaft kann nicht auf der naiven Hoffnung aufgebaut
werden, daß die deutsche Arbeiterschaft Hammelfleisch lieben lernt und die französische Bourgeoisie
sich für die Kultur des Maghreb begeistert.«

16 Peter Henkenborg: Fremde Deutsche in deutscher Fremde. Plädoyer für ein interkulturelles Bildungsprogramm
. 1992.

17 Siegfried Frech/Sabine Keitel: Auf die Zusammensetzung kommt es an. Interkulturelle Begegnungen
in der politischen Bildungsarbeit. In: ZEP Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik
. 3 (1996) S. 31.

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