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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0111
»Es war wie überall, eben kleiner« - Französische Besatzung in Burladingen (1945-1948)

1. »SOLCHE ERLEBNISSE KANN MAN NICHT EINFACH VERGESSEN« -
VORWORT*

Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die anschließende Besatzung liegen 50 Jahre zurück,
dennoch übt die Rekonstruktion einer Burladinger Heimatgeschichte bis heute eine zwiespältige
Faszination aus.

Die damaligen lokalen Verhältnisse, die Ereignisse und Erlebnisse vor Ort, die in Burladingen
»wie überall« waren und vielleicht aus diesem Grund bisher keiner Aufarbeitung bedurften
, stellen sowohl eine Miniaturgeschichte als auch einen Ausschnitt der >großen Geschichte<
dar.

Auch wenn der »kleine Alltag« in die »große Geschichte«1 eingebettet ist, erscheinen bestimmte
Phänomene der begrenzten kleinen Welt ausgeschnitten, aus ihrem Zusammenhang
gelöst, tauchen so in der Weltgeschichte nicht auf.

Obwohl Heimatkunde nur als Teil der großen Geschichte sinnvoll und verständlich ist, die
Geschichte der Heimat diejenige der »großen weiten Welt«2 nicht ersetzen kann, macht die
Heimatgeschichte Geschichte leichter nachvollziehbar. In einer lokalen Strukturgeschichte
sind die Orte bekannt, an denen sich diese Geschichte festmacht, hier sind die Namen der
Handelnden vertraut.

»Die Geschichte der Heimat und der weiten Welt sind nicht zwei verschiedene Sachen,
sondern unterschiedliche Erfahrungsformen. In der Nahwelt erfährt man die Geschichte am
eigenen Leib; die Weltgeschichte hingegen, auch da, wo sie einen angeht, berührt einen wenig.
Der Krieg im Libanon (...), das sind für uns Ereignisse, die wir nicht mit unserem Schicksal zu
verknüpfen wissen; das eigene, häufig triviale Erlebnis scheint für das Leben folgenreicher, zumindest
bedeutsamer. In der alltäglichen Erfahrung von geschichtlichem Prozeß gerät der Zusammenhang
leicht verloren, und erst in Krisenzeiten wird deutlich, daß die große Geschichte
der kleinen Geschichte die Befehle erteilt, sie zumeist nach ihrem Rhythmus tanzen läßt. Das
heißt dann aber auf der anderen Seite auch, daß der Alltag seine Unschuld verliert, daß in der
Heimatgeschichte die großen Bewegungen spürbar werden. Man kann in einer solchen historischen
Krise die scheinbare Trennung von großer weiter Welt und kleinem Milieu nicht mehr
aufrechterhalten, sondern wie in einem Schock wird der gemeinsame Horizont der beiden
Sphären offenkundig. (...)

Heimatgeschichte ist also kein Antipode oder gar Ersatz von großer Geschichte, sie ist nur
der Teil, der in das eigene Leben wie ein Stachel hineinragt, der nicht durch Gesetze und Zahlen
und große ökonomische Zusammenhänge wegdifferenziert werden kann.

Heimatgeschichte ist die abhängige Form, sie stellt die Gesetze nicht auf, sie führt sie aus,
sie gibt nicht den Rahmen vor, sondern sie handelt in ihm. Dadurch hat sie keine Kraft, Zusammenhänge
zu erklären, aber sie hat die Gabe, die Fragen nach der eigenen Position, nach
dem eigenen Vermögen (und Unvermögen) unnachgiebiger zu stellen als die Zusammenhangsgeschichte
, die die Menschen relativ klein macht, ihnen so Entscheidungsspielraum abnimmt
, aber ihnen damit auch die Chance zu alternativen Handlungsmöglichkeiten abspricht,
und sie so wenigstens partiell aus der Verantwortung entläßt«3.

* Uberarbeitete Version der Magisterarbeit im Fach Empirische Kulturwissenschaft der Eberhard-Karls-
Universität Tübingen, vorgelegt bei Prof. Dr. Utz Jeggle im April 1992.

1 Hermann Bausinger, Utz Jeggle, Gottfried Korff, Martin Scharfe: Grundzüge der Volkskunde
. 2. Auflage. Darmstadt 1989, S. 165.

2 Utz Jeggle: »Bei den Deutschen weiß man, wo man dran ist.« Feldforschungsprobleme bei einer Untersuchung
ehemaliger griechischer Fremdarbeiter im Laucherthal. In: Lutz Niethammer, Alexander
von Plato (Hg.): »Wir kriegen jetzt andere Zeiten.« Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in
nachfaschistischen Ländern. Berlin, Bonn 1985, S. 369.

3 Ebd. S. 369-371.

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