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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0112
Ute Weidemeyer-Schellinger

Die >große Geschichte< der französischen Besatzungszeit ist in ihren Grundlinien ausreichend
bekannt. Aus diesem Grund behandelt die Arbeit ausschließlich die >kleine, alltägliche
Geschichte<, die Ereignisse, wie sie sich vor der Haustür abgespielt haben sowie deren Verarbeitung
in der Erinnerung der Betroffenen.

Da eine große Zeitspanne zwischen der Realgeschichte, dem authentischen Alltag der Besatzung
und deren Rekonstruktion, dem Prozeß des Sich-Erinnerns liegt, werden die Geschehnisse
nicht in der Intensität erinnert, wie sie in der Nachkriegszeit tatsächlich erlebt wurden
. Mit »einer immer bedrohlicheren Lage« und »einer kriegerischen Situation«4 in den historischen
Quellen kontrastiert die Erinnerung: »Vor den Franzosen hätten sie keine Angst
mehr haben müssen«5. Je mehr Zeit seit dem Kriegsende und der Besatzung vergeht, um so
mehr wird die Erinnerungsarbeit von einer gewissen Milde, vom Prozeß des Vergessens, gekennzeichnet
sein.

Da es sich bei dieser Heimatgeschichte sowohl um die Ereignisse als auch um die Erinnerungen
, um eine Spurensicherung im Alltäglichen handelt, stehen Lebensgeschichten von
Zeitzeugen/innen, die Individuelles schildern und gleichzeitig Allgemeines deutlich machen,
im Zentrum.

Obwohl jeder Gesprächspartner sozusagen >seine Geschichte< erzählt (»Jeder hat die
Nachkriegszeit in seinem Bereich mit Abwandlungen so oder so erlebt«6), ist diese in konkretem
Zusammenhang mit der >großen Geschichte<, in deren Medium sie sich ereignet hat, zu
betrachten. »Die Verhältnisse in Burladingen waren wie überall, bloß kleiner als in der Stadt«7.
»Die Nachkriegszeit in Burladingen war wie überall, eben kleiner. Die Ablieferungen und die
Requirierungen, das war überall das gleiche. Den Burladingern ging's nicht besser und nicht
schlechter als anderswo. Sonst war es mit allem gleich. Man mußte Milch abliefern, man mußte
Eier abliefern, man mußte alles abliefern. Das einzige war vielleicht, daß man den Krieg ohne
Verluste daheim überstanden hat«8. »Das Schlimmste war eben, daß die Männer eingezogen
worden sind, und daß viele gefallen sind. Viele sind nicht heimgekommen. Und das andere
war doch überall. Es gab, glaube ich, nichts Besonderes. Aber auch nicht weniger! Warum?
Ich meine, es war vielleicht ein bißchen ein Vorteil mit den Lebensmitteln, weil man eben hier
noch ein klein bißchen Landwirtschaft nebenher betrieben hat. Also das muß man positiv sehen
und dankbar sagen. Das war schon ein Vorteil gegenüber den anderen. Aber sonst hat man
die gleichen Lasten auch tragen müssen«9.

Die >Geschichten< innerhalb der >Geschichte< verlaufen nicht immer in zeitlicher Ubereinstimmung
mit den vorgegebenen historischen Einteilungen; an die Stelle der >Geschichte< tritt
vielmehr eine Einteilung und Gewichtung, die sich nach dem individuellen Lebenszyklus der
Personen richtet.

Zwar tauchen die im öffentlichen Geschichtsbewußtsein verankerten Einschnitte dieser
Zeit zum Teil in den Erzählungen über die eigene Geschichte auf - es gibt auch Schnittstellen
zwischen individuellem Schicksal und großer Geschichte -, sie werden aber nur thematisiert,
insofern die historischen Einflüsse (beispielsweise die Währungsreform) im persönlichen Leben
direkt spürbar werden.

Auf heimat- und erinnerungsgeschichtlicher Ebene stehen andere Momente der Besatzung
im Vordergrund als auf zeitgeschichtlicher; zentraler Inhalt der Erinnerung sind Ereignisse,
die aufgrund persönlicher emotionaler Betroffenheit tiefe Spuren im Gedächtnis hinterlassen

4 Chronik der katholischen Pfarrgemeinde Burladingen, Heimatbuch, S. 115.

5 Interview mit Herrn A. am 22.1.1991.

6 Interview mit Herrn G. am 29.4.1991.

7 Interview mit Frau E. am 15.5.1991.

8 Interview mit Frau B. am 18.2.1991.

9 Interview mit Herrn A. am 22.1.1991.

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