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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0114
Ute Weidemeyer-Schellinger

Aus einer einstmals vielleicht gleich erlebten Erfahrung zweier Menschen kann der nachfolgende
Lebensabschnitt »unterschiedliche Erinnerungen, eine andere Wahrnehmung, ein
anderes Gedächtnis«17 formen. »Erinnerungsarbeit als Reflexion auf die Bedingungen und
Umstände ist unumgänglich, weil das >Vergessen< nur eine Form der Erinnerung ist, das Geschehen
wird verleugnet, indem man es an einer anderen Stelle des Gedächtnisses ablegt. (...)
Das Vergessen ist eine sprachliche Form des Erinnerns, die gleichzeitig eine Fixierung an die
Vergangenheit bedeutet. (...) Erinnern bedeutet eben kein Festklammern an der Vergangenheit
, sondern die Möglichkeit, sich von ihr frei zu machen und einen neuen Weg, der sich bewußt
von dem alten unterscheidet, einzuschlagen«18.

Das individuelle Gedächtnis bewahrt folglich tatsächlich nur einzelne Bruchstücke der
Vergangenheit auf; es gibt keine vollständige Erinnerung, sondern nur eine begrenzte Anzahl
von Schlüsselerlebnissen, von besonderen Blicken und eindringlichen Situationen, die im Gedächtnis
einen unmittelbar rekapitulierbaren Ein-Druck hinterlassen.

Beim Nicht-Erinnern an spezielle Aspekte der Vergangenheit (beispielsweise die Entnazifizierung
) handelt es sich dann keineswegs um ein Stück >Verdrängungsgeschichte<, vielmehr
stehen für die Zeitzeugen/innen eben völlig andere Erlebnisse im Zentrum der Erinnerung als
diejenigen, die der Forscher im Augenblick rekapituliert und erinnert haben möchte.

Mir steht es nicht zu, aus diesem Vergessen oder Nicht-Erinnern-Wollen einen Vorwurf
oder eine Anklage zu konstruieren. Die Erinnerungen der Gesprächspartner/innen, die eben
auch das Verschweigen oder Verschieben auf andere zum Inhalt haben können, können nicht
korrigiert, sondern nur akzeptiert werden. »Die Abweichung gehört genauso zur Geschichte,
vielleicht weil sie etwas verbergen möchte oder aber ein Signal dafür ist, wie schwer es fällt,
über die Sache selbst zu reden. (...) Diese Berufung auf die Schwäche des Gedächtnisses war also
eher eine Bitte um Vermeidung dieser Themen. Das Nicht-mehr-genau-Erinnern ist also
auch eine Form der Erinnerung«19.

Bei der Rekonstruktion der Heimatgeschichte der französischen Besatzung in Burladingen
, bei der die Gespräche mit den Informanten/innen Geschichte für Erzähler und Zuhörer
noch einmal lebendig werden ließen, richtete sich die Fragestellung einerseits nach der Verlaufsform
des historischen Prozesses, orientierte sich andererseits aber an der Erfahrungsform
einschneidendes Erlebnis<. Eine chronologische Ereignisgeschichte steht in Verbindung mit
einer Erinnerungsgeschichte sowie dem Versuch einer objektiven Aufarbeitung.

Ohne die Mithilfe und Mitarbeit der Burladinger Zeitzeugen/innen wäre eine Rekonstruktion
der lokalen Geschehnisse der Besatzungszeit nicht möglich gewesen, denn die spärlichen
schriftlichen Zeugnisse aus der unmittelbaren Nachkriegsphase ergaben nur ein unvollständiges
Bild zum Alltag der Bevölkerung - sofern es diesen nach dem Ende des Krieges überhaupt
gegeben hat.

Da die Stadt Burladingen über kein Archiv verfügt, konnten die anfänglich bestehenden
Informationslücken durch eine Reihe persönlicher Gespräche mit Burladinger Frauen und
Männern, die nun die zentrale Grundlage der Arbeit darstellen, geschlossen werden.

Diesen 13 hilfsbereiten Gesprächspartner/innen aus Burladingen gilt mein ganz besonderer
Dank, ohne sie hätte eine Heimatgeschichte der französischen Besatzung in Burladingen
nicht geschrieben werden können. Herzlichen Dank für die freundliche Unterstützung: Dr.
Maren Kuhn-Rehfuß sowie den Mitarbeitern des Staatsarchivs Sigmaringen, dem Leiter der
Heimatbücherei Hechingen, Alf Müller, der Hohenzollerischen Zeitung Hechingen, der

17 Bertaux (wie Anm. 11), S. 151.

18 Utz Jeggle: Memorie und Historie - Zur Arbeit des Erinnerns. In: Kultur anthropologisch. Eine
Festschrift für Ina-Maria Greverus. Hg. von Christian Giordano, Werner Schiffauer, Heinz Schilling
, Gisela Welz und Marita Zimmermann. Schriftenreihe des Instituts für Kulturanthropologie und
Europäische Ethnologie der Universität Frankfurt. Band 30: Oktober 1989, S. 359.

19 Jeggle (wie Anm. 2), S. 371/372.

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