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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0116
Ute Weidemeyer-Schellinger

tion« sind, unterschiedliche Betrachtungsweisen beinhaltend, nur einige der Termini, mit denen
das Kriegsende in der Geschichtsschreibung betitelt wird.

Diese Doppel- beziehungsweise Mehrfachbedeutung des Datums hat für die deutsche Bevölkerung
damals sicherlich nur eine untergeordnete Rolle gespielt, denn nach den Kriegsjahren
mit unzähligen Entbehrungen und der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten war es
für die Menschen ausschließlich von Relevanz, daß der Krieg und damit die nationalsozialistische
Terrorherrschaft beendet waren.

Für die deutsche Bevölkerung besaß das Kriegsende folglich keineswegs die historische Dimension
, die man dem Datum 8. Mai 1945 heute zuschreibt. Mit der Vielfältigkeit des Datums
beschäftigte man sich wohl erst, als man sich an die wissenschaftliche Aufarbeitung des
Kriegsendes und der Nachkriegszeit machte.

Das von der offiziellen Geschichtsschreibung in den Vordergrund gerückte Befreiungserlebnis
und die Schuldfrage, die Entnazifizierung und der Aufbau eines demokratischen Staates
standen nicht im Zentrum der Erinnerungen der Burladinger Zeitzeugen/innen, vielmehr waren
es alltägliche Verhaltens- und Uberlebensmuster. Einerseits wurden bestimmte historische
Ereignisse im örtlichen Diskurs eben nicht angesprochen und können deshalb nicht in der Erinnerung
präsent sein. Andererseits: Wer konnte und wollte sich schon angesichts der alltäglichen
Probleme bei Kriegsende an eine Vergangenheitsbewältigung wagen und/oder sich mit
Schuldgefühlen belasten? Die meisten Menschen hatten scheinbar genügend damit zu tun, die
Gegenwart zu bewältigen.

In den Erzählungen der Männer und Frauen finden sich nur wenig Anhaltspunkte für die
häufig zitierte Aufbruchsstimmung, und es scheint, als ob unser Geschichtsverständnis den
Alltag der Menschen in dieser Zeit verkennt und falsch gewichtet.

Die Gespräche mit den Burladinger Informanten/innen verdeutlichen, daß oft erst bei wiederholter
Fragestellung überhaupt eine Verbindung zwischen Zusammenbruch« und Befreiung
« hergestellt wird, während Aspekte wie Ablieferungen und Plünderungen wie selbstverständlich
zur Erinnerung an die französische Besatzung gehören.

Auch wenn die Gesprächspartner/innen konträre Meinungen vertreten, ob es sich beim
Einmarsch und der nachfolgenden Besatzung nun um eine Befreiung des deutschen Volkes
vom Nationalsozialismus oder eher um eine militärische Niederlage gehandelt habe, betonen
sie, daß man sich im allgemein herrschenden Chaos der anfänglichen Besatzungszeit keine
Gedanken über solche Fragen gemacht habe. »Also ich glaube, stark überwiegend war schon
das Gefühl, daß jetzt die Gefahr vorbei und daß die Gemeinde gerettet war, und daß die, die
hier waren, noch am Leben waren. Und dann hat man um die gebangt, die noch draußen in der
Gefangenschaft waren. Ich glaube, da hat man sich gar keine so großen Gedanken gemacht, ob
man jetzt von den Franzosen oder von den Amerikanern besiegt gewesen ist. Ältere Leute haben
ja auch ein klein bißchen Geschichtswissen gehabt, und dann hat man sich das schon vorstellen
können, daß es irgendwie weitergeht. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man das Gefühl
gehabt hat, jetzt ist es aus. So wie es im Krieg geheißen hat, das haben aber die aktiven Nazis
gesagt: Genießt den Krieg, der Frieden wird furchtbar sein! Aber das war hier bestimmt
nicht so. Wahrscheinlich hat man sich schon gesagt, es kommt jetzt noch eine schwierigere
Zeit, vielleicht auch wirtschaftlich und so, aber irgendwann muß es eben auch wieder bergauf
gehen. Der Menschenschlag ist ja sowieso so, daß man sich niederschlagen lassen kann, aber
immer einmal mehr aufstehen muß. Ich glaube nicht, daß da das Politische bei den meisten
noch eine große Rolle gespielt hat. Jeder hat gesagt, Gott sei Dank ist der Krieg aus, und das
andere kommt wieder. Das ist ja dann auch hart genug gewesen, aber es ist dann eben in kleinen
Schritten wieder bergauf gegangen«20. »Ja, man hat es als Befreiung empfunden. Da ist jeder
glücklich gewesen, jetzt ist es aus«21. »Die militärische Niederlage hat man ja kommen se-

20 Interview mit Herrn A. am 22.1.1991.

21 Interview mit Frau H. am 16.5.1991.

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