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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0126
Ute Weidemeyer-Schellinger

Die vielfältigen und detaillierten Erinnerungen der Informanten/innen bestätigen diese
Einschätzung der damaligen Situation. »Die militärische Niederlage hat man ja kommen sehen
. Man hat ja gewußt, daß das kommen muß, daß das ausgehen muß. Man hat ja den ganzen
Rückzug vom Osten und von überall her miterlebt. Auf allen Gebieten ist man ja kaputt gewesen
. Und der Engländer kam, und man ist zurück. Und der Franzose ist bis zu uns heraufgekommen
. So hat man sich ja darauf vorbereiten können, daß es vorbei ist. Man hat gewußt,
in den und den Tagen kommen sie. Sie sind jetzt dort durch und dort durch, jetzt müssen sie
zu uns kommen. Man hat's auch schießen hören und man hat gedacht, ja wenn sie bloß schon
da wären, dann wäre der Krieg aus. Man hat ja gewußt, der Krieg muß ausgehen, es ist nur
noch eine Frage von kurzer Zeit«69. »Also im letzten Kriegswinter hatten wir in unserer Stellung
einen vorgeschobenen Posten von der Nachrichtenabteilung, und da konnten wir immer
wieder Radio hören. Und da habe ich immer wieder die Reden Goebbels gehört, um Weihnachten
44 vor allen Dingen. Das war so gehässig. Da ist mir also der Gedanke gekommen,
wenn man noch einmal heimkommt - man konnte ja nicht damit rechnen, daß man noch einmal
aus dem Schlamassel herauskommt -, lassen die keinen Deutschen mehr leben. Das kann
nicht sein, denn so gehässig war das alles aufgezogen. Daran kann ich mich noch gut erinnern.
(...) Und das war nur noch eine Frage der Zeit, es war eine derartige Übermacht. Es hat also zu
der Zeit der letzte Landser im vordersten Schützenloch gemerkt, also jetzt ist es nur noch eine
Frage der Zeit, bis wir ganz überrollt werden«70.

Die meisten Menschen in Deutschland wußten, daß der Krieg zu diesem Zeitpunkt bereits
verloren war und haben auch den Rundfunkansprachen Hitlers nicht mehr geglaubt. »Es kann
sein, daß es immer noch ein paar Unverbesserliche gegeben hat, aber die meisten haben den
Reden Hitlers im Jahr 1945 nicht mehr geglaubt. Die meisten haben ja schon seit 39/40 angefangen
zu zweifeln, aber dann war ja nichts mehr zu machen und man durfte sich ja auch gar
nicht erklären. Das war zu gefährlich«71. »Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde immer
knapper, die Stimmung im Volke immer düsterer, und vergebens versuchten Partei- und Regierungsstellen
Stimmung im Volke zu machen«72.

Einer der Interviewpartner zeigt die Diskrepanz zwischen dem Inhalt der Rundfunksendungen
und der damaligen Realität auf: »Den Radiomeldungen hat niemand mehr geglaubt.
Das war ja das Interessante, was man dem Volk da hinten erzählt hat, und wir konnten das zufällig
mithören. Grausig!«73

Diese Aussage bestätigt die Vermutung, daß solche Ansprachen nur noch gehalten wurden,
um die einheimische Bevölkerung nicht noch mehr zu beunruhigen, um ihr vorzugaukeln, das
nationalsozialistische Regime hätte noch immer alles in der Hand. »Ach was, das hat niemand
mehr geglaubt. Man hat denen im Radio etwas vorgemacht, damit es wenigstens noch die Leute
daheim glauben sollten«74.

Die Mehrzahl der Bevölkerung, vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, die den
Kriegsalltag - wenn auch auf andere Art und Weise als in den Städten - jahrelang miterlebt
hatte, wollte sich lieber kampflos ergeben, als beim Einmarsch einen aussichtslosen Kampf
und den eventuellen Verlust von Menschenleben zu riskieren. Auch wenn die Burladinger/innen
nicht gewußt haben, was sie nach der Besetzung zu erwarten hatten, war davon auszugehen
, daß der Einmarsch - »mit dem hat man ja rechnen müssen«75 - weniger gewaltsam erfolgt
, wenn sie keinen Widerstand leisten würden.

69 Interview mit Frau B. am 18.2.1991.

70 Interview mit Herrn G. am 29.4.1991.

71 Interview mit Herrn A. am 22.1.1991.

72 Burladinger Heimatbuch, S. 115.

73 Interview mit Herrn G. am 29.4.1991.

74 Interview mit Herrn H. am 16.5.1991.

75 Interview mit Frau C. am 12.3.1991.

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