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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0138
Ute Weidemeyer-Schellinger

2.3. »DA HAT MAN DENEN FREIEN LAUF GELASSEN, DEN MAROKKANERN«
- DIE ERSTEN TAGE UND WOCHEN DER BESATZUNG

Nachdem die Franzosen im Frühjahr 1945 in Südwürttemberg einmarschiert waren, brachte
die erste Zeit der Besatzung vielen Menschen nicht den ersehnten Frieden, sondern stellte vielmehr
eine Verlängerung der Kriegsjahre dar. Wenn auch die Übergriffe der Besatzungsmacht
nicht ganz einem Krieg - diesmal in der Heimat - gleichkamen, trugen sie jedoch zumindest
dessen Züge.

Da über die Städte und Gemeinden, vor allem in den ersten Tagen der französischen Besatzung
, eine Welle ungehemmter Gewalttaten hinweggegangen war, mochte die Bevölkerung
den Eindruck gewonnen haben, daß mit dem Kriegsende für die Deutschen tatsächlich der
Tag der Abrechnung gekommen sei, an dem sie für die Taten der deutschen Soldaten in Frankreich
zu büßen hatten, an dem gewisse (Un)taten auf den Urheber zurückfielen. Daß die Franzosen
und Marokkaner in der ersten Zeit der Besatzung auch in kleinen Landgemeinden geplündert
und vergewaltigt haben, wird anhand der historischen Quellen als auch durch die Informationen
der Burladinger Zeitzeugen/innen belegt.

Alle Ereignisse der »großen Geschichte< lassen sich auch in dieser Beziehung bis ins Detail
auf die >kleine, alltägliche Welt< übertragen:

»Für die einheimische Bevölkerung waren die ersten Tage nach der Besetzung die schlimmsten
und aufregendsten«133. »Es war eine Zeit der Unsicherheit und des Bangens, Truppen zogen
ab, neue kamen, ein wirres Durcheinander«134. »Das war die schlimmste Zeit, die Zeit
gleich nach dem Krieg mit den Ablieferungen und alles«135.

2.3.1. »DAS SCHLIMMSTE ABER BRACHTE DIE NACHT«

Nachdem die unmittelbare Bedrohung durch Luftangriffe nach der Kapitulation vorüber war,
begann vor allem für die Frauen eine ernsthafte Bedrohung durch die Sieger. Während die
meisten Männer ihre schmerzlichen Erfahrungen mit dem Krieg längst hinter sich hatten, begriffen
viele Frauen erst nach der Befreiung von den Nazis, was Krieg und Gewaltherrschaft
im Einzelfall tatsächlich bedeuten konnten.

Daß die französischen Truppen als Sieger kamen, bekamen vor allem sie zu spüren, denn
schlimmer als Plünderungen und Zerstörungen waren für sie die unzähligen Vergewaltigungen
zu Beginn der Besatzung. Vom jungen Mädchen bis zur alten Frau - jede konnte es treffen. »Zu
Vergewaltigungen kommt es in Krisenzeiten unabhängig davon, ob man den jeweiligen Krieg
für >gerecht< oder >ungerecht< hält. Vergewaltigungen gehörten im Ersten Weltkrieg zu den Terrormitteln
der deutschen Truppen in Belgien. Mit Vergewaltigungen rächte sich die Rote Armee
im Zweiten Weltkrieg auf ihrem Marsch nach Berlin an den Deutschen. Vergewaltigt wird in
Krisenzeiten immer und überall, unabhängig von Nationalität und geographischer Lage«136.

»Unter den ersten Panzertruppen befand sich ein Kapitän, der Geistlicher und im Zivilberuf
Weißer Vater war. Er machte gleich eine Besuchung beim Pfarrer (...) und sagte, daß die
nachrückende Infanterie hauptsächlich aus Marokkanern bestände, die zwei Tage schlimm
hausen, dann aber weiterziehen würden. Man solle den Frauen und Männern sagen, sie sollen
ihre Töchter einsperren und wohl behüten. Die Aussagen des weiterziehenden Geistlichen bestätigten
sich leider zu wahr. Die Marokkaner raubten zunächst die Hühner- und Hasenställe

133 Hans Speidel: Der Landkreis Hechingen 1945-1955. In: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
. Hg. vom Hohenzollerischen Geschichtsverein Sigmaringen. Sigmaringen 1985, S. 246.

134 Burladinger Heimatbuch, S. 117.

135 Interview mit Frau G. am 29.4.1991.

136 Susan Brownmiller: Gegen unseren Willen. Vergewaltigungen und Männerherrschaft. In: Erika M.
Hoerning: Frauen als Kriegsbeute. Der Zwei-Fronten-Krieg. In: Niethammer/v. Plato (wie Anm. 2),
S327.

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