Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0146
Ute Weidemeyer-Schellinger

Marokkaner hätten doch vor der Kirche nicht halt gemacht. Ich weiß nicht, aber ich kann es
mir nicht vorstellen.

Nein, die haben sich so daheim versteckt. Und wer keinen Platz oder kein Versteck gehabt
hat, ist zur Nachbarschaft gegangen. Bei meinem elterlichen Haus ist ein größerer Anbau hinten
hinaus. Da war unten eine Werkstatt drin und oben drüber im Dach hat man Heu und
Stroh gehabt. Und da sind meine zwei Schwestern und Frauen aus der Nachbarschaft, die einfach
nur ein Wohnhaus gehabt haben, in dem man sich nicht verstecken konnte - hier im Haus
kann man sich zum Beispiel nicht verstecken -, denen hat mein Großvater hinten hinaus einen
Raum, vielleicht so groß wie ein Zimmer, frei gemacht im Heu und einen Zugang, den man
wieder verstopft hat. Und da hat man die Frauen abends schon früh hineingetan und hat ihnen
das Essen und Trinken mitgegeben, und dann hat man das wieder verstopft. Und wenn die
Marokkaner gekommen sind und sind wirklich die Leiter hinaufgeklettert, dann war alles zu.
Das war ein Gefühl für die, wenn sie dort gewesen sind und man hat gehört, jetzt kommen sie
ins Haus. Und so war's in den anderen Häusern auch«178.

Ein konträres Beispiel zu den bisherigen Aussagen stellt Frau C.s Statement dar. Sie hat
sich vor den Franzosen und Marokkanern nicht versteckt, sich ihre Angst nicht anmerken lassen
: »Also, ich habe gesagt, wenn mich einer vergewaltigen will, also ich will sehen, ob der
mich erschießt. Ich lasse es darauf ankommen, ob mich einer umbringt. Ich habe gar keine
Angst gehabt. Und dann hab' ich zu meinem Mann gesagt, also jetzt bist du jeden Tag fort bei
jemand anderem und ich bin immer alleine hier. Wenn ich heute abend nicht mehr lebe, habe
ich gesagt, dann weißt du warum. Also, das wäre noch schöner, habe ich gesagt. Weil man
doch gesagt hat, sie vergewaltigen einen so. Also ich habe gar keine Angst gehabt, ich habe so
eine Energie gehabt. Die Frauen haben eben alle Angst gehabt und haben sich nicht gewehrt.
Also ich hätte zugeschlagen, und wenn er mich umgebracht hätte.

Ich habe mich nie versteckt, ich habe immer nur geguckt, daß ich nicht viel vor's Haus gekommen
bin. Und dann sind einmal sechs gekommen, also Schwarze und andere, zu mir ins
Haus und ich bin ganz alleine daheim gewesen mit den Kindern. Da habe ich gerade Kekse gemacht
, und dann sind sie alle bei mir in der Küche gewesen und haben die Kekse, wie sie aus
dem Backofen herausgekommen sind, gegessen. Und sie haben mir nichts getan. Einer ist sogar
mit mir in den Keller hinunter, und wir haben etwas zu trinken heraufgeholt. Ich meine,
der hätte mich im Keller vergewaltigen können. Aber ich habe gar keine Angst gehabt. Und
dann haben sie die Vorhänge so grob aufgezogen. Dann habe ich ihn festgehalten und habe
ihm gezeigt, wie man das macht. Und sie haben auch im ganzen Haus die Schubladen aufgezogen
und überall geguckt. Sie haben nur Kleinigkeiten mit, sie haben mir nichts genommen. Ich
bin immer mit ihnen mit und habe geguckt.

Ich habe gar keine Angst gehabt. Gehabt schon, aber ich habe sie nicht gezeigt. Als sie dann
weg gewesen sind, bin ich erst aufgeregt gewesen. Dann habe ich auch gezittert und Angst gehabt
. Aber von den Nachbarn, das hat mich dann geärgert, wäre kein einziger gekommen und
hätte nach mir geguckt. Und meinen Mann hat man dauernd geholt in die Nachbarschaft zum
Helfen«179.

Haben die Franzosen und Marokkaner ein solch resolutes Verhalten in der Realität
tatsächlich akzeptiert oder entspricht diese Erinnerung eher einem heutigen Wunschdenken?
Die konkrete Beschreibung der Zeitzeugin läßt vermuten, daß sie sich damals wirklich entsprechend
verhalten hat, und es eben auch Besatzer gegeben hat, die einem solch couragierten
Auftreten nichts entgegenzusetzen hatten.

Die Tatsache, daß auch Frau H. die Besatzungstruppen nicht gefürchtet hat und diese rückblickend
als »sehr nett« bezeichnet, basiert auf mehreren Aspekten, die eine Art Schutzfunktion
für sie und ihre Familie darstellten. Einerseits hatten sie das Wort >Offizier< an die Zimmer-

178 Interview mit Herrn A. am 22.1.1991.

179 Interview mit Frau C. am 12.3.1991.

134


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0146