Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0178
Neues Schrifttum

blematik in vergleichender Betrachtung und stellte neben die Kurpfalz weitere Territorien, die
zumindest zeitweise den Calvinismus übernommen hatten oder aber diesem nahestanden. Neben
dem Herausgeber Meinrad Schaab, einem besonderen Kenner der Kurpfalz, wurden deshalb
als weitere Referenten ausgewiesene Fachleute folgender Territorien herangezogen: für
Hessen-Kassel Gerhard Menk, für Anhalt Ulla Jablonski, für die Republik der Vereinigten
Niederlande Nicolette Mout. Auf Anraten von Volker Press wollte jedoch der Vorstand der
Kommission bei der Vorbereitung des Sammelbandes den Kreis der auf der Tagung abgehandelten
Territorien erweitern. Solchermaßen steuerten denn eine ganze Reihe weiterer Autoren
zusätzliche Manuskripte bei: Georg Schmidt eines über die calvinistisch gewordenen Reichsgrafschaften
, Siegfried Hoyer aus Leipzig über Kursachsen, Peter-Michael Hahn von der Freien
Universität Berlin über Kurbrandenburg und Andre Holenstein über den Kanton Bern. Mit
letzterem beginnt die Reihe der Beiträge (S. 4-33). Andre Holenstein schildert den Konflikt
zwischen calvinistisch gesonnenen Prädikanten in der bernischen Waadt und dem dezidiert an-
ti-calvinistischen, staatskirchlich ausgerichteten Bern. Als die Geistlichen an Weihnachten 1558
eine Neuerung einführen und nur examinierte Gemeindemitglieder zum Abendmal zulassen
wollten, da stellte Bern die Prädikanten vor die Wahl, entweder das bisherige Verfahren beizubehalten
oder das Territorium zu verlassen. Dreißig Geistliche zogen daraufhin aus dem Waadt-
land weg: Vf. hebt aber darauf ab, daß trotz dieser Auseinandersetzung zwischen der zwinglia-
nischen und der calvinistischen Ausprägung der reformierten Reformation zahlreiche Ubereinstimmungen
bestanden, so etwa hinsichtlich der Ehe- und Sittengerichtsbarkeit, des Schul-
und Bildungswesens oder der Behandlung der Kloster- und Kirchengüter.

Im zentralen Aufsatz des Bandes (S. 34-86) malt Meinrad Schaah ein detailliertes, facettenreiches
Bild der reformierten Kirchenverfassung von der Kurpfalz und von Pfalz-Zweibrücken
. Er kommt hierbei zu dem Ergebnis, daß die ausgesprochen calvinistischen (das
heißt, gemeindebezogenen) Modelle nur auf der unteren Ebene, nicht aber im Rahmen der Synoden
verwirklicht werden konnten. Die gesamte Verwaltung der geistlichen Güter wie auch
der Kirchenrat selbst waren rein obrigkeitlich organisiert. Trotz der speziell calvinistischen
Impulse für das Bildungswesen kann Schaab nicht feststellen, daß es in der Kurpfalz und in
Pfalz-Zweibrücken diesbezüglich besser stand als in lutherischen Territorien. Andererseits
sieht er, daß mit den Exulantenstädten das Land neue Anstöße auf den Gebieten von Siedlung
und Wirtschaft erhielt. Auch sei ein Stück Gleichheit des Untertanenverbandes verwirklicht
worden, als ideale Voraussetzung für den Absolutismus.

Nicolette Mout belegt in ihrer Ausarbeitung (S. 87-96) mit vielen Beispielen, daß die reformierte
Kirche in den Vereinigten Niederlanden zwar eine privilegierte Stellung innehatte, aber
weit davon entfernt war, so etwas ähnliches wie eine »Staatskirche« zu sein. Pluriformität erscheint
als das prägende Merkmal: Neben einer großen Gruppe von Katholiken findet man
Täufer und Lutheraner, die vielerorts die Möglichkeit hatten, ihre Gottesdienste unbehindert
abzuhalten, sofern sie die öffentliche Ordnung damit nicht störten. Freilich konnte das Ausmaß
der Toleranz von Ort zu Ort verschieden sein.

Mit großem Fleiß stellt Georg Schmidt (S. 97-136) zusammen, wie sich der Calvinismus in
den Grafschaften Nassau-Katzenelnbogen, Sayn-Wittgenstein, Solms-Braunfels, Ysenburg,
Wied, Hanau-Münzenberg, Sayn, Neuenahr, Bentheim-Tecklenburg, Lippe, Ostfriesland und
Daun-Falkenstein etablierte. Hier, in diesen kleinen Herrschaftsgebieten, erfolgte der Übergang
zum reformierten Bekenntnis stets in Form eines obrigkeitlichen Bekenntnisdiktats. Die
Grafen, welche sich für diese Glaubensoption entschieden hatten, verstanden den Übergang
zum Calvinismus als logische und notwendige Fortführung und Vollendung der ersten - lutherischen
- Reformation: der »reformatio doctrinae« folgte nun die »reformatio vitae«, eine
rigide durchgeführte Kirchenzucht. Diese wiederum brachte eine herrschaftliche, ökonomische
und geistliche Intensivierung wie auch eine verstärkte Disziplinierung mit sich (Beispiele:
Schulwesen und Militär) und damit auch eine weitreichende Modernisierung und Anglei-
chung an den fürstlichen Territorialstaat.

166


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0178