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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0191
Besprechungen

die gewaltige Stoffülle zu ordnen vermochte. In einem Stil, der sehr gut lesbar ist, ohne sich
allzu oft auf saloppe Wendungen zurückziehen zu müssen, läßt Petra Weber das 83 Jahre
währende Leben Schmids Revue passieren.

Geboren in Südfrankreich als Sohn eines Lehrers, dessen Vorfahren aus Ostwürttemberg
stammten (das S. 15ff. mehrfach genannte Dorf heißt Unteriffingen, nicht Unterissingen), und
einer französischen Mutter, wuchs Charlot/Carlo Schmid nicht, wie in seinen Erinnerungen
beschrieben, in der romanisch geprägten Provinz auf, sondern in Weil der Stadt. Die Unzuver-
lässigkeit Schmids in bezug auf seine eigene Biographie narrte bisher alle Historiker - bis jetzt.
Petra Weber porträtiert den Schuljungen in Weil der Stadt, das Einzelkind, an das die Eltern
höchste Anforderungen stellten und das unter Gleichaltrigen isoliert war, mit großem Einfühlungsvermögen
. Schmid zog 1914 als deutscher Kriegsfreiwilliger in den Ersten Weltkrieg und
bemühte sich 1918/19 als Soldatenrat im Gefolge der Revolution in Württemberg um die Aufrechterhaltung
der neuen »Ordnung«. 1919/20, als in Württemberg Spartakus-Putschversuche
, Streiks und letztlich auch die Flucht der Reichsregierung von Berlin nach Stuttgart im
Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch für ständige Unruhen sorgten, stellte sich Schmid weiter
in den Dienst der »Ordnungsmacht«, indem er als Mitglied eines Studentenbataillons an
den Brandherden im Einsatz war. So bewachten er und der spätere Wirtschaftsminister von
Württemberg-Hohenzollern und erste Bundesminister für Wiederaufbau, Eberhard Wilder-
muth, mit anderen das Kunstgebäude in Stuttgart, damit die Weimarer Nationalversammlung
dort ungestört zusammentreten konnte. Ein Bild nicht ohne Symbolkraft für den Traditionsfundus
der westdeutschen Demokratie nach 1945.

Schmid studierte in Tübingen Rechtswissenschaften, bestand die beiden Staatsprüfungen
mit guten Ergebnissen und wurde bei Hugo Sinzheimer promoviert. So sehr das Recht ihn interessierte
, so wenig eignete er sich jedoch zum Rechtsanwalt und schon gar nicht zum Richter
; im Grunde war er dafür zu sensibel, konstatiert die Autorin (S. 54). Deshalb begrüßte er
es, 1927 als Referent in die Dienste des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches
Recht und Völkerrecht in Berlin treten zu können. Dies war eine Tätigkeit, die ihm wesentliche
Anregungen für seine Habilitationsschrift in Tübingen brachte. Professor wurde er allerdings
nicht, konnte es nicht werden, da schon vor der »Machtergreifung« - dies betont Petra
Weber, fußend auf den Arbeiten von Adam und Schönhagen - die Alma Mater Württembergs
freudig vor dem Nationalsozialismus kapituliert hatte. Schwere Zeiten begannen für ihn, der
als Verehrer der griechischen Antike und echter Humanist mit Verzweiflung sah, welch leichtes
Spiel Hitler hatte. Daran wollte er sich nicht beteiligen, auch dann nicht, wenn er selbst
und seine Familie - Schmid war verheiratet und hatte Kinder - darunter zu leiden hatten. Die
Schilderungen von Schmids ehrlichem Kampf darum, sich nicht zu kompromittieren, auch
nicht als Kriegsverwaltungsrat im besetzten Nordfrankreich, wo er versuchte, die Bedrückung
der Bevölkerung zu mildern, zählt zu den besonders gelungenen Passagen des Buches
.

Nach dem Zusammenbruch engagierte er sich sogleich politisch, spielte in der Tübinger
Demokratischen Vereinigung eine führende Rolle und wurde von den Franzosen als Landesdirektor
für Kultus und Unterricht in die im Juni 1945 gebildete Stuttgarter Landesverwaltung
geholt. In diesem Zusammenhang ist der Autorin (S. 210) ein nicht unwesentlicher Fehler
unterlaufen, da sie Schmids Amtskollegen Landesdirektor Albrecht Fischer (1877-1965)
mit dem früheren KPD-Landtagsabgeordneten Albert Fischer (1883-1952) verwechselt. Bezeichnenderweise
strichen Schmid die Amerikaner, die wenig später in Stuttgart die Macht
übernahmen, seine Zeit als »Besatzer« in Lille im Zuge ihrer pauschalen Entnazifizierung übel
an und enthoben ihn seines Amtes. Wenig später gelang es ihm aber im französisch besetzten
Südwürttemberg, sich als politische Schlüsselfigur zu installieren. Er trat am 16. Oktober 1945
an die Spitze des »Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und
Hohenzollerns« und blieb bis Mitte 1947, als auf Grundlage der Wahlen zum ersten württem-
berg-hohenzollerischen Landtag die CDU die Position des Regierungschefs beanspruchte,

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