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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg1997/0192
Neues Schrifttum

faktisch »Staatsoberhaupt« in dem unter Abholzung der Wälder und Demobilisierung leidenden
württembergischen Rumpfland. Freilich vermochte der wendige und perfekt französisch
sprechende Schmid in dieser politisch aktivsten Phase seines Lebens, seinen Aktionsradius gegenüber
der französischen Militärregierung in Tübingen beziehungsweise der zonalen Besatzungszentrale
in Baden-Baden stetig auszuweiten und der deutschen »Regierung« eine Stellung
zu verschaffen, die sie unter jedem anderen Politiker, gleich welcher parteipolitischen
Couleur, nicht annähernd erreicht hätte. Dem »Problem Hohenzollern«, also der verwaltungsmäßigen
und staatsrechtlichen Sonderstellung der willkürlich unter Tübinger Verwaltung
gestellten Hohenzollerischen Lande nahm er sich von Anfang an mit Respekt an, zeigte
sich aber später eher genervt von den Bemühungen hohenzollerischer Abgeordneter um
Franz Gog, dem Gebiet die Sonderstellung über alle Neugliederungen hinweg zu erhalten.

Schmids parteipolitische Konzeption ging davon aus, daß sich auch in Deutschland eine
Labour Party nach britischen Vorbild durchsetzten würde, weshalb er, unterstützt von Landesdirektor
Fritz Ulrich, die US-Militärregierung in Stuttgart bereits im Juli 1945 um Beistand
für die diesbezüglichen Bemühungen in Teilen der SPD und der Gewerkschaften bat. Nachdem
er aber in Tübingen die Leitung der provisorischen Verwaltung, des Staatssekretariats,
übernommen hatte, mußte er von diesem Plan Abschied nehmen: im überwiegend katholischkonservativen
und agrarisch orientierten Oberschwaben war an eine Umsetzung dieses Gedankens
, der im US-amerikanisch besetzten Nordwürttemberg auch Freunde in der später gegründeten
CDU hatte, nicht zu denken. In mancherlei Hinsicht war Schmid der Kern des sich
neu konstituierenden Landesverbandes der SPD, um den sich alles weitere sammelte. Er besaß
innerhalb der Landes-SPD eine starke Position, weil hochkarätige Parteifreunde wie Oskar
Kalbfell und Viktor Renner in die gleiche Richtung zogen. In dem Moment, als sich Schmid
auf die Bundesebene bewegte, verlor er an Einfluß und Rückhalt.

Er hatte maßgeblich die württemberg-badische Verfassung beeinflußt, denn der württem-
berg-hohenzollerische Regierungschef saß seit September 1945 auch - als Staatsrat - in der
Kabinettsrunde Reinhold Maiers in Stuttgart: einmalig in der deutschen Nachkriegsgeschichte
! Es war der politischen Klugheit des CDU-Staatspräsidenten Gebhard Müller zu danken,
daß Schmid 1948 in den Parlamentarischen Rat nach Bonn entsendet wurde. Müller hat sich
dafür herbe Kritik Konrad Adenauers gefallen lassen müssen, jedoch seine Entscheidung nie
bedauert. Schmid trug als gemäßigter Sozialdemokrat wesentlich dazu bei, mit den Vertretern
anderer Parteien Kompromisse auszuhandeln und das Grundgesetz für den westdeutschen
Teilstaat auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Schmid besaß einen hervorragenden Ruf als
Verfassungsexperte und war seit seiner großen Rede über ein Besatzungsstatut auf der
Münchner Ministerpräsidentenkonferenz 1947 in Deutschland bei der politisch interessierten
Bevölkerung ebenso bekannt wie bei den alliierten Besatzern. Die tragische Dimension seiner
Vita blieb ihm aber erhalten, denn nach den ersten Bundestagswahlen war die Union die stärkste
Fraktion im Bonner Parlament, und Schmid mußte alle Pläne, auf Bundesebene führend
politisch »in Amt und Würden« tätig sein zu können, begraben. Ihm blieb die Vizepräsidentschaft
im Deutschen Bundestag, später, in der großen Koalition, die Leitung des Bundesratsministeriums
.

Schmid, der schon dem Landtag von Württemberg-Hohenzollern angehört hatte, war von
1949-1972 Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Mannheim-Stadt. Er engagierte sich
führend in der Europabewegung, in der Interparlamentarischen Union, war beteiligt an der
Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich und auch, heute schon vielfach vergessen,
an der Annäherung zwischen Deutschland und Israel. Obwohl er kein hohes Regierungsamt
mehr bekleidete, obwohl er in der eigenen Partei, deren Bundesvorstand er bis 1973 angehörte
, spätestens nach der von ihm wesentlich mitbeeinflußten programmatischen Wende des
SPD-Parteitages von Bad Godesberg (1959) zunehmend isoliert war, und obwohl er als Kandidat
für das Amt des Bundespräsidenten 1959 gegen Heinrich Lübke (CDU) im zweiten
Wahlgang unterlag, verstand es Schmid, bis zuletzt - er war bis zu seinem Tod Koordinator

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