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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2000/0231
Besprechungen

schicht und sehr wenig Industrie (S. 20). Gleichzeitig verdreifachte sich die Zahl der
Studenten auf ca. 2.400 Immatrikulierte, ein Phänomen, das wie im Reich in der Bevölkerungsentwicklung
, aber auch dem Wirtschaftswachstum und der staatlichen
Bildungspolitik seine Ursachen hatte. Allerdings entwickelten sich die einzelnen
Fakultäten teilweise geradezu „gegeneinander" (S. 27). Die Wahl des Studienfaches
orientierte sich an der sozialen Herkunft, d.h. den finanziellen Möglichkeiten, die
sehr unterschiedlich hohen Kosten zu tragen. Ferner waren die beruflichen Perspektiven
in Verwaltung, Schulwesen und Kirche ausschlaggebend, nicht zuletzt
auch die Zulassungsbestimmungen zum Studium. Besonders die Abgänger der Realgymnasien
und der Oberrealschulen verstärkten deshalb seit Beginn des 20. Jahrhunderts
den Zustrom an die Universität. Unbeantwortet bleibt leider die Frage,
warum in den Naturwissenschaften und den philosophischen Disziplinen Zuwachsraten
deutlich über dem Reichsdurchschnitt zu verzeichnen waren (S. 27,
60 ff.).

Für Kleinbürgertum und Unterschichten war ein Studium die bedeutendste
Möglichkeit für sozialen Aufstieg. Das vergleichsweise extrem kostengünstige
Theologiestudium war deshalb vor allem im katholischen Kleinbürger- und
Bauerntum beliebt, wurde hingegen vom Wirtschaftsbürgertum fast völlig gemieden
. Es bevorzugte die teuren Studiengänge Jura und Medizin. Studenten aus dem
Bildungsbürgertum frequentierten mit stark wechselnden Interessen Jura, Wirtschafts
- und Sozialwissenschaften, Philosophie und Medizin (S. 32 ff., 107). Frauen
waren seit 1897 als Hörerinnen, seit 1904 als Studentinnen zugelassen - gegen die
„schweigende Mehrheit Tübinger Professoren". Anschließend kam es zu langwierigen
Auseinandersetzungen um das Recht der Frauen auf staatliche und private Stipendien
(S. 66 f., 50 ff.).

Der Geldbedarf der Studenten schwankte je nach Studienfach, der Bewilligung
von Stipendien und sozialen Repräsentationspflichten, etwa als Mitglied eines
Corps. Ein großbürgerlicher Medizinstudent verbrauchte deshalb leicht das Zehnfache
(rund 11000 Reichsmark und mehr) als ein voll verköstigter und kostenlos
untergebrachter angehender Theologe (S. 41). Die beschränkten Möglichkeiten der
Eltern, aber auch der soziale numerus clausus der Studiengebühren und Kolleggelder
war ursächlich für beträchtliche individuelle Schulden von Studenten in der Tübinger
Geschäftswelt. Es widersprach jedoch dem Ehrenkodex der Studenten,
staatliche Armenstipendien in Anspruch zu nehmen (S. 42 ff).

Obwohl die Studenten die ärmliche Unterstadt der Weinbauern zu Gunsten der
bürgerlichen Oberstadt mieden, standen die Unterkünfte wiederholt als schlecht
und teuer in der Kritik. Insbesondere mangelte es an Möglichkeiten zur Körperreinigung
, weshalb von der Unversität wichtige Impulse zum Bau einer städtischen
Badeanstalt ausgingen (S. 56 f.).

Der Studienalltag war bestimmt von einem eher unregelmäßigen Besuch der Vorlesungen
und Übungen (S. 77), von der partiellen Integration in die rivalisierenden
Corps, Burschenschaften und nichtschlagenden Verbindungen mit all ihren Verpflichtungen
zu rituellen Trinkgelagen (S. 59). Wehrdienstleistende hatten mitunter
die Möglichkeit, weiter zu studieren, kamen jedoch mit der Doppelbelastung kaum
zurecht (S. 193 ff.). Psychisch und physisch belastende Verhältnisse herrschten an-

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