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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0376
Der Fürst und „seine" Hexe

Dass die Mutter lt. Aussage der Tochter ihre große Lehrmeisterin sei und auch über
eine Zaubersalbe verfüge, wird zwar aus juristischer Sicht als Denunziation zu
werten sein; dass dies von dem kleinen Mädchen auch so intendiert war, darf jedoch
bezweifelt werden. Sein Verhalten erscheint hier nicht als Ausdruck eines gestörten
Mutter-Tochter-Beziehung, sondern (falls es nicht gelogen hat) als Akt der Solidarisierung
mit der Mutter. War es doch der böse Hund des Untervogts, der sich erdreistet
hatte, der armen Gerberfamilie den hart erarbeiteten Sonntagsbraten vor der
Nase wegzufressen und der nun seine gerechte Strafe dafür erhalten sollte. Auch die
Großeltern (bzw. die Großmütter), die nach Webers Recherchen häufig Anschuldigungen
von Seiten der Kinder ausgesetzt waren, werden in den Aussagen Anna
Marias nicht auf die Anklagebank gesetzt, sondern bekommen vielmehr die bedeutende
Rolle der alles wieder gutmachenden Ordnungsmacht zugesprochen. Es
könne, so das Mädchen bewundernd, den gelämbten Kazen niemandt helffen als sein
Ahne oder Großmueter26.

Trotz dieser inhaltlichen Abweichungen hat Webers religiöses Erklärungsmuster
hinsichtlich der Kinderhexenprozesse auch in diesem Fall eine gewisse Berechtigung,
wie ein Blick auf den weiteren Ablauf des Verhörs zeigt. Angesichts der widersprüchlichen
Aussagen der Hauptpersonen lenkt Kanzler Dr. Fischbach die Befragung
auf einen entscheidenden Punkt. Da man Kinder, gemäß der christlichen
Erbsündenlehre, von der Zeugung an der Gefahr dämonischer Mächte ausgeliefert
sah, war es, beginnend mit der Taufe, die vordringlichste Aufgabe der Eltern, ihrem
heranwachsenden Kind das notwendige religiöse Rüstzeug mitzugeben, um es vor
dem Einfluss des bösen Feindes zu schützen. Folgerichtig stellt der Kanzler dem
Mädchen die „Gretchenfrage": Ob es auch bete und das Kreuz mache, wenn es
hinausfahre? Als Anna Maria auch dies treuherzig bejaht, hat sie sich unwissentlich
zum ersten Mal entlastet, galt es doch als erwiesen, dass der Teufel von seinen Opfern
verlangt, dem Glauben und jeglicher religiösen Praxis abzuschwören. Im Zeichen des
Kreuzes und den Namen Gottes auf den Lippen konnten sich weder Besen noch
Ofengabel zum Hexenflug erheben.

Ihre bald darauf herbeizitierte etwa vier Jahre ältere Schwester Christina wird
ebenfalls dieser religiösen Prüfung unterzogen. Als sie der Aufforderung folgend
auch des Creuz gemacht, undt des Vatter Unßer und Ave Maria ordentlich gebettet
hat, will der Kanzler von ihr wissen, ob sie auch des Nachts auf der Gabel fahren könne
. Dass Christina mit bitterlichem Weinen und Vergißung über Zäheren antwortet:
Nein, behüte mich Gott, ich kann nit fehren, ist wohl nicht allein ihrem höheren Alter
und einer entsprechend größeren Einsicht in die Gefährlichkeit der Situation zuzuschreiben
. Wahrscheinlich hatte die Mutter das Mädchen noch auf die zu erwartenden
Fragen vorbereiten können. Denn die Weißgerberin war an diesem Morgen
bereits ihrer jüngsten Tochter gefolgt, als diese vom Stadtknecht abgeholt worden
war, und hatte die ganze Zeit über mit Bangen vor der Kanzleitür ausgeharrt.

26 Wie Anm. 9.

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