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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0477
Dietrich Bulach

vorzuehalten gewüsst, dass ihr schließlich durch ein hochlöbl. Kay. Cammergericht
zue Speyer ein mandata de relaxanda captiva sine da. zugesprochen worden war,
welches schließlich eine Kayl. Hochlobl. Commision hernach exequiert [ausgeführt]
habeni - dies alles soll einen nachhaltigen Eindruck beim Inquisitor und Kanzler Dr.
Fischbach hinterlassen und den neuerlichen Verdacht, der auf der Weißgerberfamilie
lastet, entkräften. Die beabsichtigte Wirkung wird zunächst augenscheinlich erreicht.
Ohne weitere Diskussion oder Befragung werden Mutter und Kinder vom Oberamtmann
nach Hause entlassen - mit der einzigen Auflage, die Töchter in der Forcht
Gottes zuerzihen und fleissig mit ihnen zubettenm. Damit scheint auch dieses letzte
gefährliche Nachspiel des Aufsehen erregenden Hexenprozesses gegen die Weiß-
gerberin Anna Maria Grün aus Hechingen ein unerwartet schnelles und glimpfliches
Ende gefunden zu haben.

Allerdings ist dem hohenzollerischen Kanzler der Fall dann doch zu heikel: Die
jüngste Tochter einer vormals als Hexe verdächtigten Frau bezichtigt sich selbst und
ihre Mutter der Hexerei! Um auf Nummer Sicher zu gehen, schickt er das erstellte
Verhörprotokoll umgehend samt Begleitschreiben an die Universität Tübingen, mit
der Bitte den Fall juristisch zu begutachten434. Im Namen der hohenzollerischen Räte
und Oberamtleute will Dr. Fischbach wissen, ob er mit der Untersuchung gegen die
sechsjährige Anna Maria fortfahren solle und wenn ja, auf welche Weise. Dann, ob
die Mutter Anna Maria Grün wegen der Beschuldigungen durch ihre Tochter festzunehmen
und der Tortur zu unterziehen sei, zumal man gegen sie ja schon einmal
prozessiert habe, auch wenn man hinsichtlich der damaligen Verdachtsmomente über
keine Erkenntnisse verfüge. Zum Dritten schließlich, ob man auch gegen die von der
Weißgerbertochter denunzierte Stadtmüllerin vorgehen müsse. Die daraufhin von
den Tübinger Rechtsgelehrten nach reifflich[er] Überlegung einmüthig erstellte und
von Dekan Dr. Johann Frommann schriftlich vorgetragene Rechtsmeinung ist ihrem
Tenor nach jedoch eindeutig: Die kleine Anna Maria Harting dürfe, obwol sehr verdächtigt
, weder gefänglich eingezogen noch peinlich beklaget werden, da sie nur von
6 Jahren und also noch ein Kind sei4i5. Aufgrund ihres Alters und der damit verbundenen
intellektuellen Unreife sei auch ihr abgelegtes Bekenntnis wenig aussagekräftig,
und diesem Umstand könne auch nicht durch Schreckwort, Ruthen oder dergleichen
nachgeholfen werden436. Zwar sei es der Obrigkeit unbenommen, das Kind im Falle
einer mit einiger Boßheit verübten, nachgewiesenen Mißethat [...] gar wol mit einer

432 Vgl. oben, S. 8.

433 Wie Anm. 14.

434 Den Hinweis auf besagtes Gutachten verdanke ich der Veröffentlichung von Casimir
Bumiller (wie Anm. 2, Die Grafschaften), S. 270, bzw. Frau Sabine Lohr, Rottenburg (ebd.
Anm. 27).

435 Universitätsarchiv Tübingen (UTA), Consilia Tubingensis, 84/16, S. 771-781, hier S. 774.
Nach Kuhn-Rjehfus „endete [die Kindheit] nach den Gesetzen im allgemeinen mit dem
7. Lebensjahr. Nach theologisch begründeter Uberzeugung waren Kinder unter 7 Jahren zu
keiner Todsünde fähig und konnten daher auch nicht gerichtlich abgestraft werden" (wie
Anm. 23).

436 UTA, S. 775.

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