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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0494
Rollender Stein und schlafender Kaiser

vielleicht gar gelähmt zu werden44. Sämtliche politische und soziale Auseinandersetzungen
der Zeit spielten nicht nur eindimensional in der Gegenwart, stets wurden
sie von einem Geflecht historischer Kontrapunkte begleitet oder überlagert. Vergangenheit
, Gegenwart und Zukunft erschienen oft so ineinander verwoben, daß
historische Legitimation und tagespolitisches Handeln schon von den Zeitgenossen
kaum mehr voneinander geschieden werden konnten, ja gar nicht auseinander gehalten
werden wollten. Dies gilt vor allem für den Prozeß der nationalen Einigung, der
von der Last der Geschichte in besonderer Weise beschwert war, weil er offensichtlich
von den Zeitgenossen ohne die geschichtliche Parallele des gerade untergegangenen
Alten Reiches gar nicht gedacht werden konnte. Verklärt durch die von der Romantik
gepflegte Sehnsucht nach einem entschwundenen Goldenen Zeitalter, wurde die
mittelalterliche Kaiserzeit durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch zum nostalgischen
Fluchtpunkt deutscher Einheitssehnsucht, im Visier der historischen Forschung
nicht weniger als in den volkstümlichen Träumen, wie sie sich in Liedern,
Sagen und Mythen artikulierten. In diesem Kontext fand eine Aktualisierung und
Instrumentalisierung des mittelalterlichen Kaisertums statt, auf ganz unterschiedlichen
Wegen und mit durchaus verschiedenen Intentionen45. Während die eine
Seite im Zeichen eines an die Stauferzeit erinnernden „Ghibellinismus" ein protestantisch
-kleindeutsches Kaisertum unter Führung Preußens anstrebte, vertrat die
Gegenpartei einen großdeutsch-katholischen Universalismus, der eine Einigung des
Reiches nur durch Osterreich in der Tradition des römischen Kaisertums verwirklicht
sehen wollte. Stillfried, der ideologische Pate des Wiederaufbaus, nahm als
katholischer Preuße eine Zwischenstellung zwischen den Parteien ein46. Er deutete
die Geschichte Preußens als Aufstieg eines Landes, das mit den Erwerbungen im
Osten eine Großmachtposition errungen hatte, die nach dem Ende des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation zur Basis der Reichserneuerung werden
konnte47.

44 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen II. Vom Nutzen und Nachteil der
Historie für das Leben. In: Nietzsche, Werke, 3. Abt., 1. Bd., hrsg. von Giorgio Colli/Maz-
zino Montinari, Berlin 1972, S. 241-281.

45 Vgl. Heinz Gollwitzer: Zur Auffassung der mittelalterlichen Kaiserpolitik im mittleren
19. Jahrhundert. In: Dauer und Wandel der Geschichte. Festgabe für Kurt Raumer, hrsg. von
Rudolf Vierhaus und Manfred Botzenhardt, Münster 1966, S. 483-512; Elisabeth Fehrenbach
: Wandlungen des deutschen Kaisergedankens. München/Wien 1969; Hartmut Boock-
mann: Wünsche des deutschen 19. Jahrhunderts an das Mittelalter. In: Reinhard Elze/
Pierangelo Schiera (Hrsg.), Das Mittelalter: Ansichten, Stereotypen und Mythen zweier
Völker im 19. Jahrhundert / Italia e Germania: Immagini, modelli e miti fra due popoli nell'
Ottocento: Ii Medioevo. Berlin/Bologna 1988, S. 127-150.

46 Vgl. Bothe (wie Anm. 10), Burg Hohenzollern, S. 258.

47 Vgl. ebd., S. 258 f.

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