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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0684
Zwangsarbeit und Ausländerbeschäftigung während des Zweiten Weltkriegs in Hechingen

Opfer des Luftangriffs auf die Hechinger Unterstadt am 18. April 1945 wurden, in
den Tagen danach aber keine Todesanzeige in der Zeitung erhielt. Während der
holländische Zivilarbeiter wenigstens soweit integriert war, dass die Information der
Öffentlichkeit durch eine Anzeige angemessen erschien, nahm am Tod des Litauers
sozusagen niemand Anteil.

Diesen Gegensatz verdeutlicht ein anderer Vorfall: Während die westeuropäischen
Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter sich mehr oder weniger spurlos aus Hechingen
verabschiedeten, veranstalteten die Russen am Tag der Abreise ein Freudenfest.
Anders ist die „Schießerei" im Russenlager, von der berichtet wird, wohl kaum zu
verstehen. Die Russen verließen eine Stadt, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollten
. In der Zerstörungswut werden sich die Aggressionen entladen haben, die das
Leben in den Lagern in den Jahren davor angestaut hatte. Bekannt ist, dass die Freude
für viele Russen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in ihre Heimat zurückkamen,
trügerisch war, weil sie zuhause mit genauso viel Argwohn empfangen wurden wie in
Deutschland und das als Archipel Gulag bezeichnete Internierungssystem im Gegensatz
zum nationalsozialistischen Lagernetz noch nicht geschlossen war.

Die Frage, bei welchem Arbeitsverhältnis der Zwangscharakter überwiegt, ist
letztlich schwer zu entscheiden. Die geschichtswissenschaftlichc Forschung neigt
dazu, das Heer von Zivilarbeitern, Kriegsgefangenen, Militärinternierten und KZ-
Häftlingen generell mit dem Signum Zwangsarbeit zu versehen, die politische
Diskussion der jüngsten Vergangenheit hat pauschal lediglich den osteuropäischen
Arbeitern dieses Zeugnis erteilt. Auf der Skala, die Zivilarbeiter, Fremdarbeiter, sogenannte
fremdvölkische Arbeitskräfte und Ostarbeiter in der Hechinger Gesellschaft
des Zweiten Weltkriegs bildeten, lässt sich bei Russen und Polen der Zwangscharakter
ihres Aufenthalts und ihrer Arbeit in der Tat deutlich erkennen. Dasselbe gilt für
die französischen Kriegsgefangenen. Sie waren durch die Kennzeichnungspflicht
jedermann als Menschen zweiter Klasse erkennbar, und sie wurden fern gehalten vom
Rest der Stadt. Außerhalb ihrer Arbeit lebten sie in bewachten Lagern, in denen die
Ausgehverbote überwacht wurden, oder mussten, wenn sie wie viele polnische und
russische Zivilarbeiter privat wohnten, selbst auf die Einhaltung achten. Verstöße
wurden bestraft. Ausgangsbeschränkungen, Aufenthaltsverbote und Kennzeichnungspflicht
sind ohne Frage Indizien für Diskriminerung und Verfolgung. Die
Vielzahl weiterer Beschränkungen des Alltagslebens beschreibt das Maß. Das
Sonderrecht, dem Ostarbeiter und Polen unterlagen, wurde mit der nationalsozialistischen
Rassentheorie begründet, die Kriegsgefangenen unterlagen der Sonderbehandlung
als Angehörige eines feindlichen Staats.

Aus dem Fehlen dieser Indikatoren bei französischen, holländischen und belgischen
Zivilarbeitern lässt sich aber nicht pauschal der Umkehrschluss ziehen. Beispielsweise
kann eine lokale Studie, die die Zivilarbeiter nur in den Blick nimmt,
solange sie im Ort sind, nicht beurteilen, in welchem Maße Zwang bestimmend war
für die Entscheidung, das Arbeitsverhältnis bei einem deutschen Unternehmen einzugehen
. Bekannt ist, dass auch westeuropäische Zivilarbeiter für den „Reichseinsatz
" mit Zwangsmitteln rekrutiert wurden. Entscheidend ist wohl immer der Einzelfall
. Die Sicht der Ausländer ist aber in den Akten der deutschen Behörden nicht
dokumentiert.

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