Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0749
Neues Schrifttum

in vier Dörfern in der österreichischen Markgrafschaft Burgau vor. Kriegshaber und
Buttenwiesen unterstanden als „immediate" Orte in Burgau der österreichischen
Oberhoheit, während Pfersee und Binswangen als „Mediatorte" „zu den Dörfern
insässischer Herrschaften" gehörten. Bei den „Insassen" handelte es sich um bur-
gauische Reichsritter, Patrizier und städtische Pfründen, die am Ort sowohl die
Gerichtsherrschaft als auch eine dominante grundherrschaftliche Stellung inne
hatten (S. 62). Die verwirrenden Konsequenzen dieser geteilten Herrschaft spiegeln
sich auch darin, dass Kriegshaber und Buttenwiesen an anderer Stelle als „mediat",
die Insassenorte als „immediat" bezeichnet werden (S. 87, 474; unklar das Quellenzitat
S. 216). Diese reichsrechtlichen Begriffe fehlen leider auch im Register.

Österreichs Stellung als Landesherr in der Markgrafschaft war vielerorts auf das
Hochgericht und das Geleitrecht begrenzt. Somit kam dem Judenregal, konkret dem
Recht zur Judenansiedlung strategische Bedeutung zu, um Ansprüche auf Oberhoheit
zu demonstrieren. Unter permanenten Querelen wurde 1587 und 1653 das Judenregal
in den Mediatorten zwischen Österreich und den Insassen geteilt. Dort, wo
Österreichs Judenregal unbestritten war, bekämpften die Grundherren die Ansied-
lung der Juden an sich (S. 75f., 116). Die insässischen Juden konnten bei den österreichischen
Vögten auf Unterstützung gegen die Ortsherren hoffen. Durch diesen
Konflikt wurden eigenständige insässische Judenordnungen blockiert; man behalf
sich mit Einzelverträgen und Ergänzungen bestehender Dorfordnungen (S. 135). Insgesamt
führte die herrschaftliche Konkurrenzsituation in der Judenpolitik seit dem
späten 16. Jahrhundert, v. a. aber nach dem Dreißigjährigen Krieg zu einer „hohen
[jüdischen] Bevölkerungskonzentration in einigen wenigen Märkten und Dörfern"
(S. 146). Bedeutende Gemeinden entstanden, die ihrem Selbstbewusstsein im Synagogenbau
auch gegen christliche Widerstände Ausdruck verliehen. Friedhöfe und
Mikwen (Anlagen für rituelle Tauchbäder) komplettierten die religiösen Ensembles.
Dennoch waren die Gemeinden oft nicht stark genug, um alle kultischen Ämter -
Rabbiner, Schulklopfer (eine Art Mesner), Schächter und Schullehrer - finanzieren zu
können. Eine Person übte oft mehrere Funktionen aus und hatte gleichzeitig noch
einen Brotberuf. Im Kampf um diese Amter, um Synagogenplätze und die Reihenfolge
vor der Tora manifestierten sich innerjüdische soziale Spannungen und Rivalitäten
zwischen führenden Familien. Deren juristische Aufarbeitung geriet häufig in
den Strudel obrigkeitlichen Kompetenzgerangeis.

Die jüdische gemeindliche Selbstverwaltung entsprach annähernd der christlichen.
Die Barnossen, Angehörige der jüdischen Oligarchie, waren als Richter eng an die
Ortsherren gebunden, wurden für deren fiskalische Zwecke instrumentalisiert und in
ihren jurisdiktioneilen Kompetenzen stark beschränkt. Auch das häufig von ostmitteleuropäischen
Gelehrten besetzte, aber in die regionalen Oligarichien eingebundene
Landesrabbinat in Pfersee wurde von jüdischen Prozessparteien immer wieder
zugunsten christlicher Gerichte umgangen. Die christliche gerichtliche Uberlieferung
ermöglicht der Autorin reichlich Einblicke in innerjüdische Angelegenheiten, obwohl
hebräische Quellen nicht ausgewertet werden konnten.

Im Rahmen des burgauischen „territorium non clausuni" (S. 227) war es für die
unter Innsbrucker Schutz stehende Landjudenschaft schließlich schwierig, analog zu
christlichen Landständen gegen die Insassenorte herrschaftliche Steuerforderungen

734


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0749