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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2002-03/0750
Besprechungen

und Verwaltungsvorschriften zu beraten und abzusegnen. Gemeinden wie Pfersee
versuchten, die herrschaftliche Konkurrenz zur Sabotage von Steuererhöhungen zu
nutzen - übrigens nicht anders als die revoltierenden christlichen Bauerngemeinden
zwischen Sigmaringen und Riedlingen an der oberen Donau.

Geschäftsfelder der Juden waren im wesentlichen der Hausierhandel mit Vieh,
Kleinwaren, Natural- und Geldkredit. Die Nachbarn, voran das Hochstift Augsburg,
sahen den Wohlstand der eigenen Untertanen durch „fremde" Juden als gefährdet an
und reagierten mit Handelsverboten und kleinlichen Protokollierungsvorschriften.
Die Stadt Augsburg bemühte sich um eine intensive fiskalische Nutzung ihres Geleitrechts
von 1599 und errichtete gegen den jüdischen „Wucher" ein kommunales
Pfandleihhaus. Die städtischen Handwerker traten je nach Interessenlage für oder
gegen den jüdischen Handel auf.

Die einzelnen jüdischen Handelsbezirke (Medinen) waren geographisch auf
bestimmte Judengemeinden ausgerichtet, lediglich die Juden aus Kriegshaber waren
zwischen der Pflege Zusmarshausen und dem Alpenvorland überall präsent. Pfersee
orientierte sich auf den nahen Augsburger Markt. Innerjüdische Konkurrenz wurde
außerdem durch geschäftliche Spezialisierung zwischen Stadt und Land verringert.
Andererseits sorgten Mischgeschäfte mit unterschiedlichen Warentypen, Überbrückungskrediten
und ausgefeilter Ratenzahlung für eine effiziente Anpassung an
die Agrarzyklen bzw. die Wünsche der christlichen (Stamm-) Kunden; der Viehhandel
wurde durch verschiedene Varianten von Kauf und Leihe flexibilisiert. Die
quantifizierende und kartographische Beschreibung jüdischer Geschäftsabschlüsse
nach Medinen stellt zweifellos eine Spitzenleistung historischer Wirtschaftsgeographie
dar, die die „immense Bedeutung" (S. 264) des jüdischen Landhandels im
regionalen Kontext aufzuzeigen weiß.

In den Dörfern existierten parallel eine christliche und eine jüdische Selbstverwaltung
als rechtsfähige Körperschaft (S. 383). Beide repräsentierten auf engem Raum
jeweils eine sozial gespaltene, von der Kopfzahl teilweise annähernd gleich starke
Bevölkerungsgruppe. Man stritt sich um Friedhoferweiterungen, um Bauland und
um Weideflächen für die Tiere der jüdischen Viehhändler. Friedhofschändungen und
die Störung jüdischer Riten durch Christen hatten hierin wohl ihren materiellen Hintergrund
. Weiter gab die Zubereitung von koscherem Fleisch und Brot Anlass zu
Zwistigkeiten mit christlichen Gewerbetreibenden. An derlei Konflikten kann die
Autorin aber andererseits zeigen, wie dicht bei aller konfessioneller Abschottung das
Netz christlich-jüdischer Beziehungen im Alltag geknüpft war.

Insgesamt erweist sich das Werk als souverän in der Anwendung von „Ansätzen
der historisch-anthropologisch orientierten Sozialgeschichte" sowie der Regionalgeschichte
(S. 19-21, 29, 381), als präzise und ausführlich in Argumentation und
Ergebnissen. Was die dörfliche Alltagsgeschichte betrifft, wird der von Robert von
Friedeburg an hessischen und fränkischen Beispielen akzentuierte „kommunalis-
tische" Antijudaismus empirisch stark relativiert. Allgemein zeigt die Studie auf
höchstem Niveau, wie die hochkomplexen Herrschaftsverhältnisse im Alten Reich
Minderheiten und Randgruppen immer wieder Nischen der Integration boten.

Freiburg i. Br.

Martin Zürn
735


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