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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0095
Frauenarbeit in der Industrialisierungsphase

36,9%, während er im gesamten Deutschen Reich erst 33,1% erreichte. Dieser erhöhte
Frauenanteil ging - neben einer Zunahme der landwirtschaftlichen Berufsarbeit
von Frauen - nicht zuletzt auf die Textilindustrie zurück, die 1907 in Württemberg
bereits mehr als doppelt so viele Frauen (30.561) beschäftigte wie noch 1882 (13.724)8.

Die Textilindustrie gilt als Branche, die traditionelle weibliche Qualifikationen
nutzte, textile Arbeit wird bis heute als Frauenarbeit betrachtet. Was hat es damit aber
tatsächlich auf sich? Wurden Tätigkeiten wie Stricken, Nähen, Sticken tatsächlich
immer von Frauen ausgeübt? Gibt es also eindeutige „überzeitliche" „weibliche
Fähigkeiten", oder kann das, was zu einem bestimmten Zeitpunkt als „Männerarbeit"
und was als „Frauenarbeit" betrachtet wurde, in der Leinenweberei Schlesiens anders
gewesen sein als in der Maschenindustrie der Schwäbischen Alb, oder in Tailfingen
schon anders als in Stuttgart?

Verständlich wird der gesellschaftliche Wandel im Industrialisierungsprozess und
die Rolle, die Frauen darin spielten, nur vor dem Hintergrund der spezifischen wirtschaftlichen
Entwicklung einer Region. Voreilige Verallgemeinerungen hinsichtlich
„der" Rolle „der" Frau sollten vermieden werden. Erst die Zusammenschau unterschiedlicher
regional- und lokalhistorischer Studien lässt ein differenziertes Bild der
Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Industrialisierung entstehen. Der vorliegende
Beitrag versteht sich somit, über seine lokalgeschichtliche Bedeutung hinaus, als
Teil einer noch zu schreibenden Geschlechtergeschichte der Industrialisierung Württembergs
.

Bevor im Folgenden die Frauenarbeit in der Industrialisierungsphase Tailfingens
zwischen 1880 und 1914 näher betrachtet wird, soll zunächst ein Schlaglicht auf die
Entwicklung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der vorindustriellen Phase
geworfen werden.

2. DER WANDEL GESCHLECHTSSPEZIFISCHER ARBEITSTEILUNG IN
DER „INDUSTRIALISIERUNG VOR DER INDUSTRIALISIERUNG"9

Das Leben in einem Bauerndorf der schwäbischen Alb war geprägt durch karge
Böden und raues Klima. Klein und erbärmlich liegt der Ort zwischen den Bergen, die
Sommer sind kurz, die Winter lang. Die Acker sind steinig und karg, die Ernte ist
gering... der Reichen sind gar wenig, ja es sind vielmehr auch die Reichen arm.... So
schilderte Pfarrer M. Julius Nördlinger 1718 Tailfingen10. Der Ort zählte um 1700 ca.
500 Einwohner. Klima und Bodenbeschaffenheit bildeten eine schwere Hypothek für
die Menschen der Region. Dennoch wuchs die Bevölkerung im 19. Jahrhunderts stark

8 M. Richter [d. i. Westmeyer, Friedrich]: Die Frau in der Industrie und Landwirtschaft Württembergs
. Berlin 1913 (Sozialistische Frauen-Bibliothek IV), S. 6f, 12.

9 Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm: Industrialisierung vor der Industrialisierung
. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalisums
. Göttingen 1977 (Veröff. d. Max-Planck-Instituts für Geschichte 53).

10 Zit. n. Bergmann (wie Anm. 7), S. 5.

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