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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0097
Frauenarbeit in der Industrialisierungsphase

Strümpfe, so fanden sich schon bald Männer, die das Stricken, „lismen" genannt,
gewerbemäßig übernahmen. Sie nannten sich „Hosenlismer" und fertigten Strümpfe
, Taschen, Handschuhe und Häubchen. Dies belegt auch diel686 für Württemberg
erlassene „Strumpf- und Hosenstrickerordnung".

Flüchtende Hugenotten brachten schließlich die Technik der Strumpfwirkerei aus
Frankreich nach Württemberg. In Tailfingen wurde 1730 der erste „Strumpfweber"
erwähnt, 1750 wurde eine „Strumpfwirkerordnung" erlassen. 1797 zählte die Tailfin-
ger Strumpfwirkerzunft schon 80 selbständige Meister sowie zahlreiche Facon- oder
Stückmeister, die an rund 300 Wirkstühlen im Lohn für Verleger arbeiteten16.

Am Ende des 18. Jahrhunderts war also die textile Erwerbsarbeit, die Strumpfwirkerei
, in Tailfingen mittels Zunftrecht den Männern vorbehalten. Im proto-indus-
triellen Haushalt unterbäuerlicher Schichten kehrte der Mann gewissermaßen ins
Haus zurück und damit in eine Arbeitssituation, die zuvor weiblich geprägt war,
während die Frau sich nun um die bäuerliche Wirtschaft kümmerte17.

Eine Umverteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen erfolgte also nicht
erst durch die Verlagerung der Produktion aus dem Haus in die Fabrik, wie wir sie in
Tailfingen um 1900 verstärkt finden, sondern bereits im Rahmen des Hausgewerbes18.
Männer übernahmen die „Frauenarbeit" Strumpfherstellung, als diese ökonomisch
einträglich wurde. Gleichzeitig entstanden neue weibliche Berufsfelder, z. B. in der
Stickerei oder bei der Konfektionierung von Gewirke. Dies führte zu einer veränderten
Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau. Welche Arbeiten jeweils Männer und
Frauen innerhalb des Hauses, der Landwirtschaft und der gewerblichen Produktion
übernahmen, unterlag in der proto-industriellen Phase einem ständigen Wandel.

Nach der Reform des württembergischen Gewerberechts 1828, die auch zu einer
teilweisen Lockerung des Zunftzwangs führte, hielt in Tailfingen die Strumpfwirkerei
als Heimarbeit in nahezu jede Haushaltung Einzug. 1850 waren am Ort ca. 150
hauptberufliche Strumpfwirker tätig19. Der ökonomische Zwang zur vollen Ausnutzung
der Arbeitskraft führte nun teilweise zu einer Angleichung der Funktionen von
Mann und Frau innerhalb der Familie, manchmal gar zu einer Austauschbarkeit oder
Umkehrung traditioneller Arbeitsformen20. Eine Entwicklung, die sich in dieser Phase
der Proto-Industrialisierung auch in anderen europäischen Regionen vollzog: „Die
Frau als Messer- oder Nagelschmied sowie als Organisatorin des außerhäuslichen

16 Der Aufstieg der Wirkerstadt Tailfingen. Festgabe zum 80-jährigen Bestehen der Christian
Schöller KG Öschingen /Wttbg [von Edgar Lehmann] (1951). Vgl. Susanne Goebel: Not
macht erfinderisch, Armut macht fleißig. Von den Anfängen der Strumpfwirkerei auf der Alb.
In: Zollernalb-Profile. Jahrbuch des Kreises. Bd. 1. Hg. Zollernalbkreis. Balingen 1988,
S. 53-56.

17 Medick (wie Anm. 14), S. 133f.

18 Zu diesem Ergebnis kommt auch Karin Zachmann: Zur Ausformung geschlechtsspezifischer
Arbeitsteilung im Industrialisierungsprozess. LTA - Forschung H. 13/1993.

19 Bergmann (wie Anm. 7), S. 6, S. 9.

20 Ute Luise Fischer, Hans-Jürgen Wembach: Der Wandel geschlechtsspezifischer Erwerbsmuster
in der Textil- und Kleidungsindustrie. LTA- Forschung, H. 6/1992.

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