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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2004/0156
Ines Mayer

ob das letzte und tiefste Verstehen etwas anderes wäre als ein Empfinden, für das es
auch keine Gründe mehr gibt als den Zwang unserer gesetzmäßig empfangenden
und wirkenden Natur! Aber das Verstehbare möchtest Du begreifen. Gut! Mußt Du
es aber außerhalb dessen suchen, was der Glaube Dir nahe brachte?! Ist es nicht möglich
, wenn unser Verstehen wächst, es zunächst in einer Prüfung des Gebotenen zu
versuchen?! Ist es nicht richtiger, so zu verfahren*}

Meyer, der offenbar seinen jüdischen Glauben praktizierte - sein Großneffe Markus
Wolf erinnert sich, dass Moritz Meyer in seiner Kindheit für ihn der einzige gewesen
war, „der den gläubigen Juden verkörperte"10 -, führte seine in den ,Sinai-Briefen'
formulierten Gedanken in der vier Jahre später erschienenen Schrift ,Von der Wissenschaft
und Nichtwissenschaft' fort. Auch hier vertritt er die Ansicht, dass alle
wahre Erkenntnis vom Glauben - Meyer spricht auch vom .Empfinden' - ausgehen
müsse, und dass nur dann ein Verstehen einsetzen könne, wenn das,Empfinden' zum
.Begreifen' hinzutrete. Wer nicht fühlt, während seines Verstehens nicht fühlt, daß
etwas in uns eingeht, aus uns herausgeht; wer nur ein Geschehen außer sich prüfen
will und dies für sich zu verstehen meint, der wird nie darüber Gewißheit erlangen,
wie der Ineinanderverlauf des Geschehens istn. Auch für das menschliche Wollen
stelle der Prozess des Empfindens eine unerlässliche Grundvoraussetzung dar. Das
Wesen des Wollens, so Meyer, sei nicht mit irgendwelcher Überlegung wiederzugeben
: es kann in seiner ganzen Wirklichkeit nur empfunden werden12.

1914, noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, an dem er als Kriegsfreiwilliger
teilnahm13, hatte Moritz Meyer im Fürstengarten das .Haus Erde' errichtet, ein
einfaches mit Stroh gedecktes Holzhaus - woraufhin er von seinen Hechinger Mitbürgern
den Spitznamen .Doktor Strohdach' erhielt. Kurz nach seiner Rückkehr aus
dem Krieg schied Meyer aus heute nicht mehr feststellbaren Gründen aus dem Staatsdienst
aus14. Er wurde 1920 vom Dienst beurlaubt und 1924 in den Ruhestand versetzt15
. Seither widmete er sich ganz der Naturheilkunde und führte in seinem .Haus

9 [Moritz Meyer]: Sinai-Briefe an meinen Neffen Fritz. Eine moderne Glosse des Zehngebots.
Tübingen 1910, S.lff. Wieder aufgelegt unter dem Titel: Die Vernunft in der religiösen Moral.
Sinai-Briefe an meinen Neffen Fritz. Eine moderne Glosse des Zehngebots. Tübingen 1914.

10 Aus einem - leider undatiert - ins Internet gestellten Interview der Schweizer Jüdischen
Rundschau' mit „Ex-DDR-Spionagechef Markus Wolf" über sein „Verhältnis zum Judentum".
Zu finden unter: http://www.hagalil.com/schweiz/rundschau/inhalt/wolf.htm

11 Moritz Meyer: Von der Wissenschaft und Nichtwissenschaft. Zwei Briefe vom menschlichen
Verstehen und Wollen. Tübingen 1914, S.5.

12 Ebd., S.6.

13 Meyer war von September 1914 bis 1918 im Krieg und stieg in dieser Zeit bis zum Offiziersstellvertreter
bei einem Infanterieregiment auf. Vgl. Meyers Kennkarte vom Oktober 1939
im StadtAHech.

14 Wie Sauter berichtet, sind Meyers Personalakten beim Dachstuhlbrand des Landgerichtsgebäudes
im Jahr 1940 den Flammen zum Opfer gefallen. Vgl. Sauter (wie Anm.5).

15 Meyer war wohl auch nach seiner Pensionierung noch juristisch tätig. Er soll die Landbevölkerung
unentgeltlich in Rechtsdingen beraten und für prozessführende Mitbürger kostenlos
Gesuche und andere Schriftstücke verfasst haben. Vgl. Wolf (wie Anm.3).

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