Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
41(126).2005
Seite: 193
(PDF, 38 MB)
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Neues Schrifttum

schritt gegenüber älteren Verfahren, denn sie ermöglichte es beispielsweise,
dem Beschuldigten seine Unschuld darzulegen. Ein Inquisitionsprozess fand nicht
nur etwa beim Verdacht auf Hexerei statt, sondern bei allen Straftaten. Der Inquisitionsprozess
beruhte auf den Prinzipien der Strafverfolgung von Amts wegen
(Offizialprinzip), dem Untersuchungsprinzip und dem Prinzip, die „wahre" Schuld
oder Unschuld des Verdächtigen herauszufinden (Prinzip der materiellen Wahrheit
). Die Untersuchung einer Straftat von Amtswegen gibt es auch beim modernen
Strafprozess. Der reformierte Strafprozess des 19. Jahrhunderts unterscheidet sich
u. a. dadurch, dass dem Untersuchungsverfahren eine öffentliche und mündliche
Hauptverhandlung nachgeschaltet ist und dass ein Urteil aufgrund eines Indizienbeweises
und nicht nur aufgrund eines Geständnisses oder Zeugenbeweises möglich
ist.

Ignor geht von dem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zwischen der Bestrafung
des Schuldigen und dem Schutz des Unschuldigen aus, welches beiden Prozessformen
innewohnt. Ein, wenn nicht der wesentliche Unterschied zwischen beiden
Prozessformen besteht darin, dass der Inquisitionsprozess eine theologische Grundlage
besaß, der bürgerliche Strafprozess hingegen auf einem säkularem Fundament
ruht. Die theologische Basis des Inquisitionsprozesses ist folgende: Der Kerngehalt
des strafrechtlichen Unrechts wurde als Sünde wider Gott begriffen. Es war notwendig
, den wahren Schuldigen zu ermitteln, um ihn, aber auch die Gesellschaft mit Gott
zu versöhnen und Gottes Strafe abzuwenden. Die Versöhnung mit Gott war Sinn
und Zweck der Strafe. Dabei entstand nun folgendes Dilemma: Gott verlangte einerseits
die Bestrafung des Schuldigen, des Sünders, dessen Seelenheil damit zugleich
gerettet werden sollte; andererseits durfte der Richter keinen Unschuldigen bestrafen,
um nicht selbst zum Sünder zu werden. So genügte denn kein Indizienbeweis, wie im
modernen Strafprozess, sondern der Beschuldigte musste entweder von zwei Zeugen
überführt werden oder ein Geständnis ablegen. Es musste die „wahre" Schuld oder
Unschuld herausgefunden werden. Dieses theologisch fundierte Prinzip der materiellen
Wahrheit prägte den Inquisitionsprozess.

Die Pflicht des Richters, Unschuldige zu schützen, brachte manche rechtlichen
Instrumentarien und Verteidigungsmöglichkeiten mit sich, die bisher beim Inquisitionsprozess
nicht beachtet wurden. So hatte der untersuchende Richter, der -
modern gesprochen - Staatsanwalt und Richter zugleich war, zunächst alles zu untersuchen
, was sowohl die Schuld als auch die Unschuld des Angeklagten belegen konnte
. Gegebenenfalls mussten andere rechtskundige Institutionen eingeschaltet werden.
Dem Beschuldigten standen obendrein - wieder entgegen weit verbreiteter Vorstellungen
- starke, rechtliche Verteidigungsmöglichkeiten zu, die zum Teil gesetzlich
fixiert waren; so besaß er beispielsweise sogar ein Recht auf Akteneinsicht.

Der Zwang, zumindest bei schweren Delikten ein Geständnis erhalten zu müssen,
führte jedoch zu einem der schlimmsten Auswüchse des Inquisitionsprozesses, zur
Folter. Allerdings war die Anwendung der Folter an Rechtsregeln gebunden, und dem
Beschuldigten standen auch hier Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung. Dies
war wenigstens die Rechtsnorm. Ausgesetzt waren die Rechtsregeln jedoch bei Ausnahmeverbrechen
wie etwa der Hexerei. Normalerweise war ein materieller Tatnachweis
, ein Corpus delicti, erforderlich, um die Spezialinquisition einzuleiten, bei der

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