Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
41(126).2005
Seite: 197
(PDF, 38 MB)
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Neues Schrifttum

keit wohl durch die Versammlungen abgelegener Gemeinden aufgefüllt, da, wie Jens
Chr. V. Jobansen nachweist, die aktenkundigen Fälle mit der räumlichen Entfernung
vom Gericht deutlich abnahmen. Auch Karl Härter, seit vielen Jahren durch Veröffentlichungen
zur „guten Policey" des Alten Reiches bekannt, widmet sich der Frage,
wie weit obrigkeitliche Rechtsprechung die Bevölkerung durchdringen konnte. Das
inquisitorische Strafverfahren, so seine These, blieb auf genossenschaftliche Organe,
die Mitwirkung der Bevölkerung und ihre informelle soziale Selbstkontrolle angewiesen
. Martin Dinges kehrt diese Perspektive um und diskutiert die Beweggründe
der „Justiznutzer". Die europäische Forschung zeige allgemein, dass der Gang vor
Gericht zumeist die ultima ratio war. Voraus gingen Versuche informeller sozialer
Kontrolle und eine Abwägung möglicher Kosten und Erfolgsaussichten unter
Berücksichtigung der zu verhandelnden Delikte und auch der Macht der Beteiligten.
Oft diente der Gang vor Gericht nur als Druckmittel für außergerichtliche Einigungen
. Daran anknüpfend entwickelt Francisca Loetz das Konzept der „infrajudiciaire"
in mehrdeutiger, dafür flexibler Weise weiter.

Die Justiz des Alten Reiches war letztlich theologisch legitimiert. So behandelt das
Fasnachtsspiel „Elsli Tragdenknaben", 1530 uraufgeführt, Unzucht unter Personen
der untersten sozialen Schichten. Der Autor Nikiaus Manuel hebt darin die Trennung
zwischen weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit auf, indem er die Vorstellung propagiert
, „ein böses Herz sei die Quelle der bösen Tat" (Heinrich R. Schmidt, S. 602).
Verbrechen verlangten geistliche Prophylaxe oder wenigstens Aufarbeitung. Manuel,
Sohn einer unehelich geborenen Berner Stadtschreibertochter und eines italienischen
Apothekers, war Wortführer der Reformation zu Zwingiis Zeiten. Man mag vermuten
, dass er am Ende seines Lebens auch die Problematik seiner Herkunft aufarbeitete
.

Wie in der weltlichen Strafrechtsgeschichte auch, stieß ein schwacher Territorialstaat
wie Pfalz-Neuburg in seinem Bemühen um Kirchenaufsicht auf selbstbewusste,
in Presbyterien organisierte Gemeinden. Insgesamt sei aber „die obrigkeitliche
Dominanz unverkennbar" (Frank Konersmann, S. 624). Im geistlichen Territorium
Osnabrück war die Straf- und geistliche Gerichtsbarkeit durch zwei Machtzentren
gleichzeitig geprägt, die Landesherrschaft und das Domkapitel. Disziplinierung der
Untertanen und Zentralisierung des Rechtswesens waren also erschwert. Die vom
Landesherrn geduldete katholische Sanktionspraxis umfasste nicht die Protestanten,
doch kam es zu Kompetenzüberschreitungen, die die obrigkeitlichen Kontrahenten
für ihre Streitigkeiten nutzten. Die Untertanen spielten die Obrigkeiten teils gegeneinander
aus, teils wirkten sie an der Strafverfolgung mit, so Harriet Rudolph. Interessant
schließlich die Beobachtung, dass für das gleiche Delikt nach Stand und Vermögen
unterschiedliche Strafen existierten: Bei schwer wiegenden Sexualdelikten
zahlten reiche Bürger hohe Geldbeträge, während Vermögenslose des Landes verwiesen
wurden. Diese Praxis gleicht derjenigen in Freiburg i.Br. um 1750 (vgl. Martin
Zürn, Wollust, Macht und Angst. Städtische Diskurse über Sexualität und Körperempfinden
in der Frühen Neuzeit, in: Claudia Bruns/Tilmann Walter (Hrsg.), Von
Lust und Schmerz. Eine Historische Anthropologie der Sexualität, Köln,Weimar,
Wien 2004, S. 87-128).

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