Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
44(129).2008
Seite: 109
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Skandal im Kaiserstammland: Der Hechinger Stadtkassendefekt 1907.

mer. Der alte Kessel am Bahnhof wurde zu klein, im September 1912 ging der neue an der
Alten Rottenburger Straße in Betrieb21.

Der Wandel, den Industrie und Technisierung bewirkten, war auch hörbar in der Stadt. Althergebracht
schlugen die Glocken der Stiftskirche und das Glöcklein der Rathausuhr weitum
vernehmbar die Stunden. Sie gingen zwar mehrere Minuten auseinander, aber jede Seite
glaubte an die Richtigkeit ihrer Zeit. Im neuen Jahrhundert trat diesem Duett ein schriller Pfeifton
zur Seite. Punkt 12 Uhr rief die Sirene der Brauerei St. Luzen aus der Unterstadt zur Mittagspause
. Die Brauereiverwaltung behauptete 1910 sogar, die Zeit besser zu kennen als die
Oberstadt. Sie orientiere sich an der korrekten Stuttgarter Mittagszeit, ließ sie wissen. Die Stuttgarter
Zeit holte sie aus dem Hechinger Bahnhof22.

Wie andere Zeiten liebte das Kaiserreich zu feiern. Der Lobpreis zum 100. Geburtstag von Fürstin
Eugenie 1908 und der Pomp bei der Einweihung des neuen Reformrealgymnasiums auf
der Lichtnau 1909 ragen in diesen Jahren heraus. Die moderne Zeit folgte in Etikette und Benimm
aber noch eigenen Regeln. Obwohl Duelle selten geworden waren, konnte es doch passieren
, dass man in der Öffentlichkeit nach gegenseitiger Vorstellung und unter Angabe des
Grundes tüchtig geohrfeigt wurde23. Fragen der Ehre endeten oftmals als Beleidigungsklagen
vor dem Amtsgericht. Man war standesbewusst, achtete auf sein Ansehen und hielt gegenüber
niedrigeren Kreisen auf Distanz. Viele Gruppen, die sich Verein nannten, waren nichts anderes
als Stammtischrunden. In den Gottesdiensten war die Sitzordnung in der Stiftskirche
umstritten und in der Fronleichnamsprozession die Reihenfolge hinter der Monstranz. Selbst
Hochfeste blieben nicht verschont. Am 27. Januar 1914 boykottierten die Oberlehrer des Reformrealgymnasiums
das Festbankett zum Kaisergeburtstag im Museum. Sie fühlten sich in der
von einer Kommission ausgearbeiteten Sitzordnung gegenüber den Gerichtsreferendaren zurückgesetzt
und zogen es vor, im Gasthaus Linde-Post unter sich zu trinken und ihre eigenen
Hoch-Rufe auf den Kaiser anzustimmen24.

21 Allgm. zur Geschichte des Gaswerks vgl. Walter Sauter: Zeitungs-Index (wie Anm. 5) S. 2134-2138.
DERS.: 50 Jahre Städtisches Gaswerk Hechingen. In: Hohenzollerische Zeitung (künftig: HZ) Nr.
295/18.12.1954. Bernd Ullrich: 100 Jahre kommunale Gasversorgung in Hechingen. Vierteilige Serie
in: Schwarzwälder Bote (künftig: SB) Nr. 194/23.08.2004, 196/25.08.2004, 197/26.08.2004,
199/28.08.2004. Werner Wahl: Die städtebauliche Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. In: 1200
Jahre Hechingen. Beiträge zur Geschichte, Kunst und Kultur der Stadt Hechingen. Hechingen 1987.
S. 135-159, hierS. 141, 143. Chronik 1980 (wie Anm. 2) S. 293, 300, 329. Das Stuttgarter Gas-und
Wasserleitungsgeschäft hatte 1874 das Gaswerk gebaut und im September 1877 an Julius Bilfinger
verkauft. Erhalten ist im Jahr 2008 nur noch das Verwaltungs- und Wohngebäude in der Bahnhofstraße
40 (frdl. Mitt. Stadtarchivar Thomas Jauch). Im Kaiserreich verschafften die Fabrikgebäude des
Gaswerks und der Brauerei St. Luzen Hechingen eine eher unansehnliche Eingangsidylle, die sich Reisenden
bot, die am Bahnhof ausstiegen. Wer auf sich hielt, konnte zum Zollerbahnhof weiterfahren,
von wo aus der Weg in die Stadt entlang dem Fürstengarten weitaus angenehmer erschien. Von 1912
an brachte die erste innerstädtische Buslinie Passagiere im Pendelverkehr vom Bahnhof über die Neustraße
zum Obertorplatz und zurück.

22 Hz. Bl. Nr. 257/14.11.1910, 258/15.11.1910. Zum Glockenstreit vgl. August Vezin: Mein Einstand in
Hechingen. In: 50 Jahre Staatliches Gymnasium Hechingen (wie Anm. 16). S. 71-86, hier S. 85.

23 Hz. Bl. Nr. 54/09.03.1909. Zoller-Redakteur Bernhard Fehrecke widerfuhr dies im Rathaus.

24 August Vezin: Mein Einstand (wie Anm. 22) S. 77f. Kaiserfeiern veranstalteten damals am Vormittag
das Realgymnasium zuerst im Rathaussaal und nach der Fertigstellung des Neubaus auf der Lichtnau
1909 in der Aula sowie am Nachmittag die Stadt im Museum. Zum Sitzplatzstreit in der Stiftskirche
vgl. Paul Münch: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Die Fürstenloge in der Hechinger Striftskirche im
Schnittpunkt adliger und bürgerlicher Interessen. In: Hohenzollerische Heimat 58 (2008) S. 1-7.

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