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Rolf Vogt
Er schäumte vor Wut, als er nach Hause ging. Den Vorwurf der Vertuscherei und des Abhängigkeitsverhältnisses
wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Am nächsten Tag schrieb er drei Anzeigen
. Eine ging an die Königliche Regierung, die nächste an die Stadt und die dritte an die
Direktion des Betriebs, in dem einer der Männer, die ihn zutiefst getroffen hatten, beschäftigt
war.
Der Betrieb tadelte seinen Mitarbeiter mit einer Rüge, und die Regierung reagierte wie gewünscht
mit einer Beleidigungsklage, die die Staatsanwaltschaft vertrat. Am 9. April 1908
wurde die Anklage vor dem Königlichen Amtsgericht verhandelt. Die Beleidigungsklage war
Topthema, welche[s] schon lange in hiesiger Stadt besprochen wurde, stellte danach der Zoller
fest. Im Zuschauersaal saßen viele Neugierige. Friedrich Wallishauser wurde als Zeuge vernommen
. Die Angeklagten retteten sich mit einer Ehrenerklärung. Sie erbrachten den Beweis,
daß ihr Krakeelen nicht darauf hinausging, etwas Tadelnswertes zu sagen, daß sie vielmehr die
Regierung loben wollten dafür, daß sie jetzt hinter die Vertuscherei gekommen sei, berichtete
Wallishauser seinen Lesern. Selbst der Staatsanwalt beantragte Freispruch. Die Strafkammer
schloss sich an, die Kosten wurden der Staatskasse zur Last gelegt.
Das merkwürdige Agreement ließ Konrad Holderried, seit 1906 Redakteur des katholischen
Zoller, nicht ruhen. Herr Redakteur Wallishauser, Führer der Hohenzollerischen Volkspartei, hat
ein gehörtes Privatgespräch dreifach denunziert und zur Anzeige gebracht, warf die katholische
Zentrums-Zeitung am Tag nach der Gerichtsverhandlung ihrem Intimfeind vor. Der Satz
stand fettgedruckt im Blatt. Jeder sollte ihn sehen.
Wallishauser zitterte ein zweites Mal vor Wut. Er bestritt die Denunziation. Großeis] Geschrei,
bellte er drei Tage später zurück. Er sei nicht in einem Privatgespräch [...], sondern in öffentlicher
Wirtschaft im Beisein von zahlreichen Gästen beleidigt worden. Seine Anzeigen seien einesteils
Wahrung berechtigter persönlicher Interessen und andernteils eine durch sein Amt als
Vertreter der Stadt in der Amtsversammlung gebotene Pflicht gewesen. Er habe keine Privatklage
erhoben. Ein öffentlich Beleidigter könne zur Wahrung seiner Ehre weniger nicht tun,
erklärte Wallishauser. Dem Zoller warf er einen blindwütigefn] Stoß auf den politischen Gegner
vor.
Holderried wollte das letzte Wort behalten. Es wird zugegeben, was nicht bestritten werden
konnte, daß der Herr Redakteur Wallishauser eine dreifache Denunziation begangen hat. Es
genügt uns, diese Tatsache festgestellt zu haben, kommentierte er tags darauf Wallishausers
Verteidigung. Auch zwei Wochen später hatte er den Zwist noch nicht vergessen. Wallishauser
habe erst jüngst mit verblüffendem Geschicke im lamm' das Hochverräternest ausgehoben
, spottete er in einer Notiz zur Landtagswahl im Juni87.
Wer die beiden Angeklagten waren, lässt sich nach den Zeitungsberichten nicht genauer bestimmen
. Dass der Zoller sich auf ihre Seite schlug, könnte sie in die Nähe des Zentrums rücken.
Auch die Schimpftirade eines Angeklagten auf die „rote Sippe auf dem Rathaus" und die Regierungstreue
Friedrich Wallishausers lenkt den Verdacht in diese Richtung.
Dass in Hechingen mit viel Emotion über den Stadtkassenskandal geredet wurde, zeigt auch
ein Vorfall in der Stadtverordnetenversammlung am 24. April 1908. Er ist überliefert, weil die
Hohenzollerischen Blätter einen Berichterstatter geschickt hatten - ein zusätzlicher Hinweis
auf das öffentliche Interesse: Die Vorwürfe aus dem Gasthaus Lamm wollte Friedrich Wallishauser
kein zweites Mal hören. Am Schluss der Sitzung ergriff Reinhard Strobel noch einmal
das Wort. Der Leiter der Hechinger Spar- und Leihkasse nahm den Fabrikanten Carl Grotz in
den Blick und beschwerte sich. Er verwahrte sich gegen die angeblich von Bürgermeister Mayer
in Umlauf gebrachten Gerüchte, als ob er durch Revisionsberichte über die wahre Lage der
87 Z Nr. 82/10.04.1908, 85/14.04.1908, 97/30.04.1908. Hz. Bl. Nr. 84/13.04.1908.
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