Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 1563
Hohenzollerischer Geschichtsverein [Hrsg.]
Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte
46(131).2010
Seite: 21
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/zhg2010/0029
Geraubte Heimat

Vor dem Hintergrund dieser schlimmen Erfahrungen und eines zunehmenden Ausschlusses
der jüdischen Schüler und Studenten von öffentlichen Bildungseinrichtungen
geht Lisa Frank zunächst in die Schweiz und bemüht sich mit Hilfe der Sieben-Tage-
Adventisten um ein Visum für die Eidgenossenschaft - vergeblich. Nach sechs Wochen
in Basel muss sie die Schweiz wieder verlassen und nach Deutschland zurückkehren.93
Von April 1936 bis Mai 1937 besucht sie das jüdische Bloch-Institut für Heilgymnastik
in Stuttgart und bewohnt ein Zimmer bei einer jüdischen Familie in der Stadt. Den
Aufenthalt in Stuttgart hat sie als angstbesetzt (scaring) in Erinnerung, da man als Jude
nirgends mehr hingehen konnte und ein jüdisches Cafe der einzige Ort war, wo Juden
noch geduldet wurden.94 Zusammen mit rund 125 anderen jüdischen Schülern erhält
Lisa Frank in Stuttgart eine Ausbildung in Gymnastik und Massage, was ihr späterhin
nach der Emigration nach Amerika von Nutzen ist. Die von ihrem Onkel Leopold Rieser
angeratene Heirat mit einem Schweizer, um in die Eidgenossenschaft auswandern
zu können, lehnt sie nach einer ersten Begegnung mit dem Mann ab. Sie hat zu dieser
Zeit schon ihren späteren Ehemann Julius Heyman kennen gelernt, der Mitte der
1930er Jahre als Vertreter für Schneiderwaren nach Sigmaringen gekommen war und
dort, angesichts des ihm verwehrten Aufenthalts in Hotels der Stadt, bei den Franks als
der einzigen jüdischen Familie logiert hatte. Während ihrer Ausbildung in Stuttgart erhält
sie öfters Besuch von dem fünf Jahre älteren Augsburger.95 Mit Hilfe ebenfalls ihres
bereits in Amerika lebenden Onkels kann Lisa Frank im August 1937 in die USA
auswandern. Vor der Abfahrt mit dem Schiff in Hamburg trifft sie sich mit ihrer Freundin
Lotte Kurfess, der Tochter des früheren Sigmaringer Gymnasiumsdirektors Dr. Alfons
Kurfess, die eigens aus dem Rheinland zur Verabschiedung von Lisa anreist und
noch einige Tage mit ihr in der Hansestadt verbringt.%

Bedrückend und erschreckend zugleich ist die Wahrnehmung, wie schnell und widerstandslos
nach 1933 auch in Sigmaringen das Netz der sozialen und wirtschaftlichen
Beziehungen zwischen den Juden und ihren „arischen" Nachbarn, Geschäftspartnern,
Vereinskollegen etc. reißt und die Juden in eine wachsende gesellschaftliche Isolation
getrieben werden. Ein waches Gespür für den eingetretenen Wandel hatte der halbwüchsige
Willi Waidmann, der sich noch nach mehr als 70 Jahren mit großer Irritation
daran erinnert, wie aus dem angesehenen Herrn Frank im öffentlichen und auch nachbarlichen
Gespräch plötzlich der Jud Frank geworden ist.97 Hannelore Zekorn hat
demgegenüber im Gedächtnis behalten, wie sie und ihr Bruder Hans von ihrer Mutter
ausdrücklich ermahnt wurden, Siegfried Frank auch weiterhin zu grüßen.98

Mit der sozialen Isolation und Ächtung sowie dem Entzug der Bürgerrechte einher
geht der sukzessive Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben und damit mittelfristig
die Zerstörung ihrer ökonomischen Lebensgrundlage im Land - zunächst mit

93 Filminterview Lisa Heyman 1997 (wie Anm. 42). - Schreiben Lisa und Patsy Heyman vom 17.11.2010
(wie Anm. 84).

94 Ebenda.

95 Ebenda.

96 Zeitzeugenbefragung Lisa und Patsy Heyman vom 19.11.2010 (wie Anm. 87).

97 Zeitzeugenbefragung Willi Waidmann (wie Anm. 61).

98 Zeitzeugenbefragung Hannelore Zekorn (wie Anm. 82).

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